Hillsboro, den 6. Juni 1892


Lieber Vater und Geschwister!

Gestern Euern lieben Brief erhalten und daraus ersehen, daß ihr lange auf den 1. Brief von mir gewartet habt. Ihr werdet wahrscheinlich noch länger auf den 2. gewartet haben, doch werdet Ihr ihn am Mittwoch vor Pfingsten erhalten haben. Euer Brief ist schon drei Wochen hier gewesen, ehe ich ihn bekam.

Ihr habt in der amerikanischen Zeitung gelesen, ich wäre bei David Schmidt und Weyand bei einem Pastor Mann, doch dies ist ein Fehler. August Weyand ist bei David Schmidt und ich bei Unruh. Wir kamen am 30. März vormittags hier an und am Nachmittag kam Reinhard Weinbrenner und sein Herr und holten Heinrich und seine Frau. Ich fuhr auch mit und blieb die Nacht bei Reinhard. Am anderen Morgen fuhr mich Reinhard sein Herr nach David Schmidt und blieb den 31. März bei Schmidt, doch als am Abend Unruh mit August Weyand ankam von Hilsboro wurde ich gewahr, daß dies ein Irrtum war und ich bei Unruh gehörte und Weyand bei Schmidt, worauf ich mit Unruh fuhr, sonst glaubt ihr, ich wäre schon beim 2. Herr.

Lois [Weyand] schrieb mir, wenn er mich holte, das kostete zuviel Geld, wenn ich kommen wollte bis 1. Juli, so könnte ich alleine kommen, dann brauchten sie noch einen Knecht und wenn ich kein Geld hätte, so sollte ich ihm schreiben, dann wolle er es mir schicken. Ich werde nun am 1. Juli von hier wegfahren und Ihr könnt dann meine Briefe dort hin adressieren

Mr. A. Müller
bei August Zahnen
in Monte Vista, Colorado

Mir geht es gut und ich wünsche es gar nicht besser. Es ist jetzt sehr warm hier. Daß ihr den Wagen verkauft habt ist ja gut und wer hat ihn gekauft. Lois schrieb mir, daß Euer Brief angekommen sei. Die Leute hier herum sind fast alle deutsch, auch die wo ich bei bin.

Ich bekomme auf die drei Monate 36 Dollar und wenn mich die Fahrt dorthin nicht soviel kostet, so werdet Ihr Euch bald auf 100 Mark freuen können.

Der Mann, wo ich bei bin, hat 108 Acker Weizen, 12 Acker Roggen (Deutsches Korn), 50 Acker Amerikanisches Korn, welches Korn oder Mais und ungefähr 60 Acker Gerste und Hafer zusammen. Er hat 9 Arbeitspferde, 1 drei-, 2 zwei- und 1 einjähriges Pferd und 2 Füllen, 16 oder 17 Kühe und Rindvieh zusammen und 20 bis 25 junge und 10 bis 12 alte Schweine. welche ganz schwarz sind wie hier überall. Er hat 175 bis 200 alte Hühner und 140 Küchel, drei alte und 8 junge Gänse, 2 Hunde und 3 Katzen und die Mäuse habe ich noch nicht gezählt, einen großen Obstgarten mit Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Pfirsischen, Kirschen und Aprikosen und Maulbeeren.

Hier sind viele und schöne Vögel und Hasen, da stolpert man beinahe drüber. Hätte ich nur meine Flinte mitgenommen. Den Revolver habe ich hier, aber keine Patronen, ich hatte keine mitgenommen! Ich werde bald mal sehen, ob man hier solche kaufen kann.

Hier gibt es jeden Tag Fleisch, sogar meist 2mal, und die gebratenen Kartoffeln, da schwimmt das Fett drin.

Der Brief von Emilie hat mich sehr gefreut. Hier ist es an Ostern mit den Eiern nicht Mode. Doch gibt es in der Woche manchmal Eier gebacken und gekocht und in den gebratenen Kartoffeln sind manchmal Eier.

Emma könnt Ihr sagen, es solle fIeißig lernen, wenn es hier ist, so muß es alles hochdeutsch sprechen. Auf den Brief von Dorchen will ich mich jetzt schon freuen und auf Berthas Brief. Ich denke es ist für jetzt genug und will schließen mit dem herzlichsten Gruß an euch alle von

Eurem August


Grüßt mir Großmutter, Onkel Friedrich, Onkel Carl und Gote in Biersdorf auch Ludwig Müller und meine Gote. August Salzer, Familie Hölzemann und meine Schulkameraden, allen Bekannten und Verwandten besten Gruß von August Müller.

Hoffentlich seid Ihr noch alle so gesund wie ich.

Besten Gruß

August

 

Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914

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