Monte Vista, den 29. Januar 1894


Lieber Vater und Geschwister!

Euern Brief mit Bildern erhalten und mich darüber sehr gefreut. Meine Schwestern haben sich aber sehr verändert, besonders Emma, welche ich kaum noch gekannt hätte, wenn ich wieder nach Deutschland gekommen wäre. Bertha und Emilie sehen sehr schön aus in den langen Kleidern. Alles was ihnen noch fehlt, ist die Haare vorne abzuschneiden und ein wenig städtisch machen. Dora scheint auch gut gewachsen zu sein. Ich werde mich auch bald einmal fotographieren lassen und Euch dann ein paar Bilder schicken. Es wäre mir viellieber gewesen, wenn Ihr Auguste und Hanna ein Bild hättet geschickt, statt Louis. Aber ich kann es nicht mehr ändern. Ihr werdet wohl denken warum, Louis kann wohl schöne Briefe schreiben, aber im übrigen kennt Ihr ihn nicht besser. Ich habe ihn nun genug kennengelernt und weiß nun, was er für ein Mann ist. Es geht auch hierbei, wie das Sprichwort heißt: Ein Freund ist besser als 10 Verwandte. Das habe ich auch erfahren. Er hat noch keinen Mann gehabt, wo er sich nicht mit gezankt hat, auch mit mir hat er sich schon gezankt, aber noch nicht geschlagen, und es wird wohl auch, solange wie ich noch hier bin, keine Schlägerei geben. Auch im Lohn ist er so. Er denkt, ein Verwandter müßte ihm billiger arbeiten als ein Fremder. Ihr wißt ja, daß der dem Mann, welchen er 14 Tage vor meiner Ankunft in Kansas gemietet hatte, 240 Dollar bezahlte und mir hat er bloß 200 Dollar bezahlt, obschon ich dieselbe Arbeit tat, die der andere tat, und für dieses Jahr weiß ich noch nicht für sicher, ob ich 210 Dollar oder etwas mehr bekomme, obschon man klüger ist, Louis hält einen für einen dummen Jungen. Ich werde, wenn mein Jahr ausgelaufen ist, bei Amerikaner gehen, damit ich besser Englisch lerne. Sollte ich keinen guten Platz hier bekommen, werde ich wieder nach Kansas gehen. Dort habe ich wenigstens gute Freunde, und im übrigen, daß Louis Euch hierher helfen wird, daraus wird doch nichts. Die erste Zeit schwätzte er mir so schön vor, daß ich dachte, jetzt würdet Ihr schnell kommen, aber ich habe herausgefunden, er ist ein Wüterich, bei jeder Kleinigkeit braust er auf und die Augen gehen wie Katzenaugen. Auguste und Hanna sind sehr gut gegen mich. Auguste hat mir fast das ganze Waschen für nichts getan, auch Hanna hat mir schon gewaschen.

Dora [List] ist jetzt hier und ihr Mann. Ihr Mann will nach Dakota und Dora später nachkommen lassen.

Daß Hanna einen kleinen Buben hat, habe ich Euch ja schon geschrieben.

Wir haben sehr schönes Eis hier und haben schon viel Schlittschuh gelaufen, auch haben wir schon das Eishaus voll. Gestern vor 8 Tagen habe ich 7 Hasen geschossen. Ich werde nächsten Sonntag 8 Meilen von hier gehen, bei einem bekannten Deutschen und Hasen schießen. Ich habe von Louis seinem Schwager Winchester Repetierbüchse billig gekauft mit 12 Schüssen unter dem Lauf im Magazin, schießt eine Meile weit.

Robert und Karl schrieben mir, ich solle meinen Paß vom Konsul verlängern lassen. Werde morgen abend einen Brief an den Konsul schreiben und einmal anfragen, ob das geht und Euch im nächsten Brief mitteilen. Robert und Karl meinen besten Dank für diese Mitteilung.

Nun möchte ich Euch noch bitten, für Auguste und Hanna jedem ein Bild zu schicken.

Wenn Ihr nicht genug habt, so bestellt noch ein halbes Dutzend auf meine Rechnung.

Erhielt letzte Woche einen Brief von meiner Schulkollegin Schneider aus Kansas. Er (?) lädt mich ein, ihn einmal zu besuchen.

Von Weyand habe ich noch nie einen Brief bekommen.

Sonstige Neuigkeiten weiß ich keine.

Was macht Großmutter und was machen Onkeln? Beste Grüße an sie.

Meinen Schulkollegen brauche ich wohl keine Grüße mehr zu bestellen! Ich bekomme doch keinen Brief von ihnen.

Ich will nun schließen, denn Ihr wißt genug. Bis ein anderes Mal und in der Hoffnung, daß Ihr Euch keine Gedanken um mich macht,
denn ich bin gesund und munter.

Beste Grüße


Euer August

Wenn Ihr mehr wissen wollt, so müßt Ihr's sagen.

Wenn Ihr einen Brief an Louis schreibt, so meldet nichts von dem, was ich Euch geschrieben habe.

 

Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914

 

 

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