Als Herr Professor Münscher mich ersuchte, dem verstorbenen Geheimen Hofrat Professor Dr. Julius Steup einen Nachruf zu widmen, trug ich Bedenken, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen. Denn obwohl wir auf demselben wissenschaftlichen Gebiete arbeiteten und beide unsere Arbeiten stets berücksichtigten, waren wir niemals miteinander in Verkehr getreten, vermutlich weil beide der gleiche Charakterzug zurückhielt, die Scheu, aufdringlich zu erscheinen. So wagte ich kaum, der Gemahlin des nunmehr Hingeschiedenen die Bitte vorzutragen, mir einige Mitteilungen über den ihr und der Wissenschaft Entrissenen zukommen zu lassen. Dank ihrer Güte bin ich instand gesetzt, von seinem stillen und so erfolgreichen Leben und Wirken zu berichten. Seiner Verdienste um die Thukydides-Forschung konnte ich wiederholt in den Jahresberichten gedenken.

Julius Steup, evangelischer Konfession, wurde als Sohn des Kaufmanns Ludwig Steup am 26. Oktober 1847 zu Leichlingen (Kreis Solingen, Rheinprovinz) geboren. Da die Eltern schon im Jahre 1848 nach Köln übersiedelten, erhielt der Knabe und Jüngling hier seinen Schulunterricht, von Herbst 1856 bis Herbst 1864 auf dem Friedrich - Wilhelm - Gymnasium, wo die Lehrer A. Weidner und Fr. Weinkauff in ihm die Liebe zum klassischen Altertum weckten. Noch nicht siebzehn Jahre alt, bezog St. die Universität Göttingen, wo er vier Semester verbrachte, und besonders bei E. Curtius, E. v. Leutsch und H. Sauppe hörte. In Bonn waren dann seine Lehrer hauptsächlich J. Bernays, O. Jahn, A. Schäfer, H. v. Sybel und H. Usener. Dort promovierte er am 31. Juli 1868 summa cum laude mit der Dissertation Quaestiones Thucidideae, deren erster Teil die Frage der Abfassungszeit des Thukydeischen Geschichtswerks behandelte, und zwar im Sinne der Ullrich-Hypothese. Die Arbeit war so gründlich, daß J. Classen, dessen Ansicht sie bekämpfte, auf sie eingehen mußte in der dritten Auflage des ersten Buches seiner Ausgabe (Berlin, Weidmann 1879, S. XCVI ff.). Im Frühjahr 1869 legte St. das philologische Staatsexamen ab, trat dann aber nach kurzer Lehrtätigkeit im Juli 1870 als Kustos in den Bibliotheksdienst zu Jena. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung der Universitätsbibliothek in Freiburg i. Br., die volle vierzig Jahre in seinen Händen lag. 1874 wurde er Oberbibliothekar; 1911 erhielt er den Titel Direktor. Nachdem er schon 1902 zum Hofrat ernannt war, fand sein Wirken die verdiente Anerkennung 1906 in der Ernennung zum Geheimen Hofrat. Schon im Jahre 1883 hatte er als Honorar-Professor an der Universität das Recht zu Vorlesungen erhalten. Es war für den jungen Gelehrten keine leichte Aufgabe, die Bibliothek zu einer dem Aufschwung der Universität und den Forderungen der Wissenschaft entsprechenden, nutzbringenden Anstalt zu erheben. Es gelang ihm durch Einführung einer neuen Ordnung, durch die unsäglich mühevolle Aufstellung neuer brauchbarer Kataloge und die umsichtige, gerechte Verwendung der für die Vermehrung der Bücherei verfügbaren Mittel. Sie wurde durch ihn bereichert, nicht bloß in ihrem Bestände, sondern durch den Erwerb wahrhaft wertvoller Werke. Unter Steups Direktion erhielt die Bibliothek auch ihren Neubau, dessen Verwaltungsräume besonders gerühmt werden. Am 1. November 1912 ließ Steup sich in den Ruhestand versetzen, um in völliger Rüstigkeit und Frische sich nun ganz der wissenschaftlichen Tätigkeit widmen zu können, der er seither bei seiner amtlichen Beschäftigung nur in den Mußestunden obliegen konnte. Denn in erster Linie stand für ihn das Gesetz treuester Hingabe an seine Berufspflichten. Darum verfolgte er auch zielbewußt seine Pläne bis zur Erreichung der Ziele und war in dieser Gewissenhaftigkeit und Bestimmtheit das Muster eines Beamten, dessen schlichte Bescheidenheit, stetes Entgegenkommen und sich gleichbleibende Freundlichkeit ihm viel Freunde gewann. In der Geschichte der Freiburger Universitätsbiblothek wird die Zeit der Steupschen Direktion immer ein Ruhmesblatt einnehmen.

Die Klarheit seiner Ziele, die Ausdauer, der eiserne Fleiß, die seine bibliothekarische Tätigkeit kennzeichneten, traten auch in seinen wissenschaftlichen Arbeiten hervor. Konnte man seiner Ansicht auch nicht beistimmen, immer mußte man ihre sorgfältige scharfe Begründung anerkennen. Wo er seinen eigenen, festen Standpunkt hatte und wahrte, niemals ließ er sich zu einer unfreundlichen oder gar herabsetzenden, verletzenden Beurteilung der entgegengesetzten Meinung verleiten, sondern prüfte diese ernst und würdigte sie. Das Jahr 1871 brachte die Preisaufgabe De Probis grammaticis, die Jahre 1881 und 1886 zwei Hefte Thukydideische Studien. Eine Reihe von Aufsätzen enthält das Rheinische Museum. Als Joh. Classen von der ferneren Bearbeitung seiner Thukydides-Ausgabe zurücktrat, übertrug die Weidmannsche Verlagsbuchhandlung dem Gelehrten die Weiterherausgabe, der Classens Gegner war, und damit eine überaus schwierige Aufgabe. Er hat sie mit großem Geschick gelöst. Die Classen-Steupsche Thukydides-Ausgabe ist ohne Zweifel die beste, ja jetzt die einzige wissenschaftliche, mit Erklärungen versehene Ausgabe des Geschichtsschreibers. In der Kritik hält sie die richtige Mitte, indem sie weder den Laurentianus C noch den Vatikanus B überschätzt. Bezüglich der Zeitrechnung des Thukydides nahm Steup entschieden Stellung gegen Unger in der fünften Auflage des zweiten Buches (1914, S. 285). Keine Neuerscheinung von Bedeutung ließ er unberücksichtigt. Die zeitliche Reihenfolge der Neuausgabe ist diese:  II. B. 4. Aufl. 1889, 5. 1914, I. B. 4. Aufl. 1897, 5. 1919, IV. B. 3. Aufl. 1900 III. B. 3. Aufl. 1902, VI. B. 3. Aufl. 1905, VII B. 3. Aufl. 1908, V. B. 3. Aufl. 1912, VIII. B. 3. Aufl. 1922. Die Vorrede zu diesem Bande gab dem Herausgeber noch die Möglichkeit, seine Stellung gegen L. Holzapfels Darlegungen (Hermes 28, 1893, 435 ff.), die Ausführungen Wilamowitzens (Hermes 43, 1908, 581 ff.) und E. Schwartz's Ansicht über die Gestaltung des achten Buches auszusprechen. Die Drucklegung verzögerte sich leider unter den traurigen Zeitverhältnissen und wuide nur durch Unterstützung der Freiburger Wissenschaftlichen Gesellschaft und durch das Entgegenkommen des Verlages ermöglicht. Für den rastlosen Arbeiter war es schmerzlich, nicht minder zu beklagen für die Wissenschaft, daß der Neudruck des schon drei Jahre druckfertig liegenden dritten Buches bis jetzt noch nicht erfolgen konnte, auch die gleichfalls druckreifen drei ersten Bücher einer Textausgabe ungedruckt daliegen. Sollten wirklich diese letzten Werke des trefflichen Mannes der wissenschaftlichen Welt vorenthalten bleiben, weil die Druckkosten sich schwer aufbringen lassen? Schon vor Jahren wies ich darauf hin, daß gerade die Abnahme der Auflagen des Thukydides besonders in der Ausgabe Classens ein sprechender Beweis für den Rückgang des altklassischen Studiums sei. (Zeitschr. f. Gymnasialween XL, 1906, S. 799 in der Besprechung der 3. Aufl. des 6. Buchs von Steup). Seitdem haben sich die Verhältnisse zum Nachteil der humanistischen Bildung noch erheblich verändert. So kann man Steup noch glücklich preisen, daß er mit der Veröffentlichung des 8. Buches sein „eigentliches Lebenswerk auf wissenschaftlichem Gebiete zu einem gewissen Abschluß" gebracht sah (Vorwort zur 3. Aufl. 1922, S. VIII).

Sein Leben war Arbeit, Arbeit seine Lust. „Alles, was er für seine von jeher nicht so kräftige, aber zähe Gesundheit tat" - so schreibt mir seine Gattin - „war ein Muß. Noch die letzten Stunden vor seinem Tode, bis acht Uhr abends, arbeitete er an seinem geliebten Thukydides. Um 10 Vi Uhr, gerade als er sich zu Bett gelegt hatte, machte ein Herzschlag seinem arbeitsreichen Leben ein plötzliches Ende." Ein schwerer Schlag für die Gattin. Da die Ehe kinderlos geblieben war, lebten die beiden so ganz für einander, still für sich. Steup hatte an der Seite seiner treu sorgenden, an seinem Schaffen stets den regsten Anteil nehmenden Lebensgefährtin kein Bedürfnis nach Anschluß und Austausch. Edel von Charakter, dachte er von allen Menschen nur das Beste und war jedem, der sich an ihn wandte, gut und freundlich. Schwer drückte auf seine Seele die Not des Vaterlandes. Sein Andenken steht in Ehren, und sein Verdienst um seinen beruflichen Wirkungskreis wie um die Thukydides-Forschung bleibt unvergessen."

 

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