Den Beschluss in Rheydt eine städtische höhere „Schulanstalt“ zu gründen, fasste der Gemeinderat am 18. Dezember 1826.

Eine höhere Privatschule bestand jedoch schon seit dem 1. März 1811. Es hatten nämlich am 29. Dezember 1810 eine Anzahl Bürger der Stadt sich contraktlich auf sechs Jahre verpflichtet einer neu zu gründenden höheren Schule insgesamt 17 Kinder "zu überweisen“ resp. für jedes dieser Kinder 32 Reichsthaler jährliches Schulgeld zu zahlen und hatten aus ihrer Mitte drei „Schuldirectoren“ gewählt, welche einen geeigneten Lehrer anzustellen und alle anderen Angelegenheiten der Schule zu erledigen hatten.

Diese wählten für den Zeitraum von sechs Jahren den Lehrer Lekebusch aus Elberfeld, welcher sich gegen ein Jahresgehalt von 400 Reichsthaler verpflichtete, 20 - 24 Kinder, im Sommer in täglich 6, im Winter in 5 Stunden in „allen nützlichen Wissenschaften" zu unterrichten, und da ihm „bei so bestimmtem Unterricht einige freie Stunden blieben, und er diese zum Privatunterricht anzuwenden willens war, so verpflichtete er sich diese Privatstunden vorzugsweise an die Kinder der Interessenten zu geben".

Sechs der Interessenten übernahmen auch die Kosten für den Bau eines „Schulhauses" im Betrage von 2222 Reichsthaler, das am 1. März 1815 bezogen und wofür der Schulkasse eine Miethe von 130 Reichsthaler, in Anrechnung gebracht wurde.

Nach Ablauf der sechsjährigen Vertragszeit wurde dem Lehrer Lekebusch gekündigt. Ob der Vertrag mit ihm erneuert wurde, ist aus den vorliegenden Akten nicht zu ersehen; die Privatschule bestand aber noch zur Zeit der Gründung der städtischen Anstalt, ohne indessen den Erwartungen der Bürgerschaft, wie es scheint, vollständig zu entsprechen.

Der damalige Bürgermeister Büschgens erklärte in der vorhin erwähnten Sitzung des Gemeinderats vom 18. Dezember 1826, „das Bedürfnis einer höheren Lehranstalt, welche im Stande sei, ihren Schülern eine allgemeine sittliche und wissenschaftliche Ausbildung zu geben, soweit dieselbe nötig sei, um entweder in eine höhere Klasse eines Gymnasiums oder in irgend einen bürgerlichen Beruf, besonders in der Handlung und dem Fabrikwesen, gehörig vorbereitet eintreten zu können, sei nicht allein von den angesehensten und wohlhabendsten hiesigen Einwohnern, sondern auch von minderbemittelten Familienvätern längst gefühlt und öfters ausgesprochen. Jetzt sei der Augenblick zur Gründung einer solchen Schule äußerst günstig: denn der Lehrer der Privatschule erhalte einen anderweitigen Beruf und die Interessenten derselben wollten das Opfer bringen, auf eine Wiederbesetzung dieser Stelle zu verzichten und erböten sich sogar, die Schulutensilien, als Pulte, Bänke, Karten und Öfen der Gemeinde zu schenken, falls eine höhere Bürgerschule zustande käme. Der Gemeinderat habe zu diesem Zwecke 200 Reichsthaler auf die Kommunalsteuer zu bewilligen, diese kleine Erhöhung von einem Silbergroschen auf die Kommunalsteuer werde sich zur Erreichung des schönen Zweckes, der die Billigung aller Wohldenkenden habe, jeder mit Freuden gefallen lassen." Der Gemeinderat stimmte den Ausführungen des Bürgermeisters zu und bewilligte die verlangten 200 Reichsthaler mit der näheren Bestimmung, dass um die geringeren Leute zu schonen, die zehnte, elfte und zwölfte Klasse der Klassensteuer von jedem Beitrage befreit bleiben sollten.

In derselben Sitzung wählte der Gemeinderat auf Antrag des Bürgermeisters eine Schulkommission, die aus dem Bürgermeister, dem evangelischen und katholischen Pfarrer und vier anderen Mitgliedern bestehen und außer den Angelegenheiten der höheren Schule auch die der städtischen Elementarschulen erledigen sollte.

Die Königliche Regierung zu Düsseldorf genehmigte durch Verfügung vom 10. Januar 1827 die Gründung der Schule und bestätigte auch die Wahl der Schulkommission, deren wesentlichste Obliegenheiten darin bestehen sollten, dafür zu sorgen, dass die Stadt und Bürgermeisterei mit den ihrem Bedürfnisse entsprechenden Schulen versehen werde, und dass diese gehörig zusammen wirkten und ineinander griffen, sich angelegen sein zu lassen, dass für die Unterhaltung der Schulen und das anständige Bestehen der Lehrer das Nötige geschehe, und dass der Unterricht in allen Schulen nach einem festen Lehrplan und gründlich erteilt werde.

Als nun aber Bürgermeister Büschgens die Mitglieder der Schulkommission zu einer Versammlung berief, fand er unerwartete Schwierigkeiten vor, der evangelische Pfarrer protestierte gegen die Befugnisse der Kommission bezüglich der Elementarschulen, der katholische Pfarrer knüpfte an seine Zustimmung die Bedingung, dass wenigstens zwei Lehrer gewählt würden, von denen einer katholisch sein müsste.

In seinem Berichte an die Königliche Regierung bedauert Bürgermeister Büschgens, dass man das Wohltätige einer aus Einwohnern der Gemeinde bestehenden Aufsicht über sämtliche Schulen verkenne, dass er der Meinung des katholischen Pfarrers, mehrere Lehrer anzustellen, beipflichten würde, wenn die Schülerzahl grösser und Fonds dazu vorhanden wären, dass in diesem Falle auch der Billigkeit entsprechen würde, einen Lehrer katholischer Konfession zu wählen, dass es aber, da die Zahl der Teilnehmer noch zu klein sei und sie zu sieben Achteln aus Evangelischen bestehe, zweckmäßig erscheine, einstweilen mit einem Lehrer dieser Konfession den Anfang zu machen.

Die Regierung zu Düsseldorf reskribierte, bei einer so irrigen Vorstellung von der Wirksamkeit der Schulkommission sei von derselben für das gesamte Schulwesen der Gemeinde kein günstiger Erfolg zu erwarten; sie wolle daher die Einwirkung der ernannten Schulkommission einstweilen auf die zu errichtende höhere Bürgerschule beschränken.

Die entgegenstehenden Schwierigkeiten waren nunmehr einstweilen beseitigt und die am 22. Juni in ihr Amt eingeführte Kommission wählte am 9. November 1827 den Lehrer Friedrich Wilhelm Steup, der bis Herbst 1826 am Gymnasium zu Elberfeld beschäftigt gewesen war und seitdem als Privatlehrer in Amsterdam wohnte, zum Rektor und Lehrer der höheren Bürgerschule.

Friedrich Wilhelm Steup wird am 16 Mai 1801 in Wetzlar geboren, als Sohn des Friedrich Martin Steup und seiner Ehefrau Johannette Catharina geb. Zimmermann. Sein Vater war Musiklehrer und Sekretär bei dem Geheimrat und Hofgerichtsdirektor Franz Joseph von Stein zu Gießen.

Nach Beendigung seiner Tätigkeit in Rheydt war er, nach einer wissenschaftlichen Reise durch Frankreich, von Januar 1835 an der höheren Stadtschule in Barmen tätig. Von Ostern 1836 bis zum 1. Februar 1843 arbeitete er als provisorischer Lehrer am Gymnasium zu Wesel. Dann war er Rektor einer Lateinschule in Ronsdorf, von Herbst 1853 bis Ende 1863 Lehrer an der höheren Bürgerschule in Eupen und von 1863 bis zu seinem Tode am 13. März 1875 Privatlehrer in Barmen.

Veröffentlicht hat er:

"Über den Einfluß der alten Sprachen auf die Betonung und die Aussprache des Englischen"
Aachen 1855. 17 S. (Programm Eupen Höh. Bürgerschule.)
Petits Contes pour les Enfants par l'Auteur des Oeufs de Paques : Mit Sprechübungen und Wortregister versehen
20. Aufl., Liegnitz : Krumbhaar, 1905, 137 S.

Der Sohn Louis wurde 1842 in Wesel geboren und starb bereits 1847 zu Ronsdorf.

Die Töchter Ida, Jenny und Lina waren Lehrerinnen und im Schuldienst von Elberfeld und Barmen als solche angestellt. Die beiden ersteren lebten zuletzt in Elberfeld und sind dort während des ersten Weltkrieges gestorben.

Im Mai 1871 wird Lina zur provisorischen Lehrerin an der höheren städtischen Töchterschule in Essen ernannt. 1925 lebte sie in Detmold.

Sie blieben sämtlich unverheiratet.

Friedrich Wilhelm begann seine Tätigkeit an der höheren Bürgerschule in Rheydt am 1. Dezember 1827 nach dem von der Schulkommission aufgestellten Lehrplan und hatte nach diesem vormittags den Knaben wöchentlich 25, nachmittags den Mädchen 13 Unterrichtsstunden zu geben. Zu diesen 38 Pflichtstunden kamen noch 6 andere mehr privater Art, welche denjenigen Knaben (im Griechischen) gegeben wurden, welche für die Secunda eines Gymnasiums vorbereitet wurden.

Steup begann seinen Unterricht im Sommer um 6, im Winter um 7 Uhr morgens. Sein Gehalt betrug 400 Reichsthaler, nebst freier Wohnung im Schulgebäude. Die außer den von der Stadt bewilligten 200 Reichsthaler erforderlichen weiteren circa 300 Reichsthaler hoffte man aus dem Schulgelde bestreiten zu können.

Das sogenannte Schulgebäude war ein sehr bescheidenes einstöckiges Haus in der Limitenstraße, welches außer der Schule und dem Rektor noch eine bürgerliche Familie beherbergte und jetzt längst vom Erdboden verschwunden ist.

Die Unterrichtsgegenstände für Knaben waren deutsche, lateinische und französische Sprache, Geschichte, Geographie, Mathematik und praktisches Rechnen, Schönschreiben, Zeichnen und kaufmännisches Buchhalten.

Die Naturwissenschaften fehlen noch, aber schon in einem am 18. April des folgenden Jahres erlassenen Rundschreiben der Schulkommission heißt es: In der geeigneten Jahreszeit soll in wöchentlich zwei Stunden Pflanzenkunde vorgetragen werden, womit kleine botanische Wanderungen verbunden sind. Im Winter werden diese Stunden durch Vorträge in der Chemie ausgefüllt. Dieser Unterricht, den der Kreisphysikus Dr. Kopstadt unentgeltlich, bloß aus Liebe für die Sache erteilt, ist als Zugabe zu betrachten.

Der Religionsunterricht fehlt auf dem Stundenplan mit der Begründung, dass derselbe den Kindern in diesem Alter ohnehin von den betreffenden Pfarrern erteilt werde.

Über die Zahl der Knaben bei Eröffnung der Schule liegen keine Angaben vor. Die Zahl der Mädchen betrug acht. So besaß denn Rheydt eine städtische höhere Lehranstalt, deren Rektor und ganzes Lehrerkollegium in der Person von Friedrich Wilhelm Steup vereinigt war und die in dieser primitiven Gestalt die Ziele einer Bürgerschule, eines Gymnasiums und einer Töchterschule verfolgte.

Diese Aufgabe überstieg die Kräfte eines Mannes, besonders als nach Jahresfrist Klassenteilungen notwendig wurden. Man hob daher auch bereits im Herbst 1828 die Töchterschule als städtische Anstalt auf und ließ auch die kaufmännische Buchführung fortfallen.

Nachdem Rektor Steup die Schule in dieser Verfassung noch drei Jahre weitergeführt hatte, zog der Gemeinderat, ohne das von einer besonderen Veranlassung in den Akten irgendwo die Rede wäre, in der Sitzung vorn 5. November 1831 die ausgesetzten 200 Reichsthaler zurück. Die Schule schien verloren aber der rührige Bürgermeister verlor den Mut nicht. Von mehreren Freunden eifrig unterstützt, rief er am 23. Januar 1832 eine „Interessentschaft" ins Leben, die sich verpflichtete, bei erhöhtem Schulgelde die Deckung der jährlichen Kosten durch Verteilung unter sich nach Maßgabe der Klassensteuer auf zehn Jahre zu sichern.

Noch am Tage ihrer Konstituierung wählte die Interessentschaft eine neue Schul-Kommission, die von jetzt ab den Namen „Kuratorium" führte; sie bestand aus dem Bürgermeister als Vorsitzenden, dem evangelischen und dem katholischen Pfarrer und noch sechs anderen aus der Interessentschaft zu wählenden Mitgliedern. Dieses Kuratorium entwickelte eine ersprießliche Tätigkeit. In der Sitzung vom 7. April 1832 wurde der z.Z. am Gymnasium zu Dorsten beschäftigte A.W. Kotthof zum zweiten Lehrer gewählt und die Anstalt auf zwei Klassen erweitert. Schon im folgenden Jahre wurde die Einrichtung der dritten Klasse beschlossen und zu diesem Zwecke (am 27. Februar 1833 ein besonders tüchtiger, auf einem Seminar ausgebildeter Mann (Fr. Hobirk) berufen.

Mit diesen Lehrkräften beschloss das Kuratorium am 7. Juni 1833 nun auch die Töchterschule wieder ins Leben zu rufen, wie dies die Statuten der Interessentschaft ausdrücklich verlangten. Die Eröffnung der Töchterschule fand am 10. Juni 1833 statt und die drei Lehrer unterrichteten in ihr die Mädchen in wöchentlich 12 Stunden. Die Unterrichtszeit für die Mädchen war nachmittags von 5 – 7 Uhr und der nicht von Rektor Steup, sondern von den beiden Lehrern Kotthof und Hobirk aufgestellte Lehrplan nennt die Fächer: deutsche und französische Sprache, Geographie, Geschichte und Naturgeschichte.

Unter solchen Umständen hätte man nunmehr die Existenz der Schule für gesichert halten sollen, umso mehr, als sie in dem Königlichen Regierungsrat Altgelt zu Düsseldorf einen warmen Freund und einsichtsvollen Förderer gefunden hatte. Dennoch hatte die Anstalt wieder eine schlimme Krisis zu bestehen. Einerseits war das Verhältnis des Rektors Steup zur Interessentschaft ein sehr missliches geworden. Die Königliche Regierung zu Düsseldorf hatte verlangt, dass er, wenn er seine Stellung als Rektor weiter behalten wolle, hierzu seine Qualifikation durch das „Colloquium pro Rektorate“ vor der Universitäts-Prüfungskommission zu Bonn noch vor Ostern 1833 nachweise. Hierzu schien Steup indessen wenig geneigt zu sein und machte seinerseits den Vorschlag, man möge ihn bis zum Herbst 1834 in seiner Stellung belassen, er wolle dann freiwillig abtreten. Die Mehrzahl der Interessenten war geneigt, eine Frist bis Ostern 1834 zu bewilligen, aber die Minderheit bestand auf strenger Erfüllung der Forderung der Königlichen Regierung.

Steup bequemte sich schließlich zum Colloquium, aber eine Verfügung vom 20. Mai berichtete, dass das Resultat nicht befriedigt habe, und dass daher zur Besetzung des Rektorats baldigst andere Vorschläge einzureichen seien.

Auch innerhalb der Interessentschaft gab es Schwierigkeiten. Einige waren mit den Maßnahmen der letzten Zeit nicht einverstanden, andere weigerten sich, die gezeichneten Beiträge, weiter zu zahlen, man befürchtete das Schlimmste.

Aber Bürgermeister Büschgens protestierte in einem geharnischten offenen Schreiben „gegen das von Gegnern ausgestreute Gerücht, als sei dieses nützliche Institut seiner Auflösung nahe. Man werde, treu den übernommenen Verpflichtungen, an den feierlichst eingegangenen Verträgen festhalten und kein willkürliches Losreißen gestatten. Hoffentlich werde die Zeit nicht mehr fern sein, wo die Anstalt ihre segenverbreitenden Kräfte in ihrer ganzen Fülle entwickeln werde. Alsdann würden die Zöglinge nicht nur qualifiziert bis zum einjährigen Militärdienst, sondern auch reif bis zur zweiten Klasse jedes ordentlichen Gymnasiums entlassen werden."

Diese Zeit war allerdings noch sehr fern, denn das erste der beiden genannten Ziele wurde erst 27 Jahre (1860), das zweite erst 60 Jahre später (1893) erreicht.

Übrigens nahm die Schule dem Eintritt des neuen Rektors Dr. Friedrich Theodor Winkelmann am 7. Okt. 1833 wirklich einen raschen Aufschwung. Als im Jahre 1836 der erste Jahresbericht erschien, wies dieser schon 65 Knaben auf, von denen 11 der ersten, 20 der zweiten und 34 der dritten Klasse angehörten.

Im Jahre 1835 zählte die Stadt Rheydt nebst den zugehörigen Honnschaften (unterste Verwaltungseinheit auf dem Land) 5463 Einwohner, im Jahre 1840 waren es bereits 6300 Einwohner unter welchen 4437 Protestanten, 1807 Katholiken und 57 Juden waren.

 

 

Quelle: Ober-Realschule und Progymnasium zu Rheydt, 57. Jahresbericht, 1893

 

 

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