Der „Allgemeine Anzeiger der Deutschen“ (Untertitel: der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe), eine von 1806 bis 1829 in Gotha erscheinende Tageszeitung und Intelligenzblatt veröffentlicht Donnerstags, den 9. Januar 1817 folgenden Artikel über den Westerwald:

Ich habe seit einigen Jahren Gelegenheit gehabt, den Westerwald mehrmals und zu verschiedenen Jahreszeiten zu bereisen, und diese Gegend war mir immer merkwürdig. Ich sah mich deswegen nach einer Beschreibung desselben hauptsächlich in Hinsicht seiner physischen Beschaffenheit, seines Climas,

seiner Cultur u.s.w., um; mir ist aber, außer dem Wenigen was man in Becher’s mineralogischen Beschreibung der Oranien-nassauischen Lande darüber findet, und was der Medicinalrath Wendelstadt zu Emmerich davon im allg. Anz. Im Jahr 1810 in einigen Briefen gesagt hat, weiter nichts bekannt geworden. Letzterer hat sich eine scharfe Critik von Pfarrer Th. Schmidt zu Marienberg zugezogen, der aber sichtbarlich viele üble Laune zu Grunde liegt. Wendelstadt hat den seinen Briefen gewiß die Absicht nicht gehabt, den Westerwädern ihr Vaterland zu verleiden, oder sie unerwarteten Spottereyen auszusetzen; denn beydes wäre abgeschmackt. Die Liebe zum vaterländischen Boden ist, Dank sey es dem gütigen Erschaffer der Menschen überall so groß, daß wir nie zu befürchten haben werden, uns auf einen Haufen oder in eine Gegend zusamengedrängt zu sehen; und wenn der vernünftige Südländer es uns Deutschen nicht zum Vorwurf machen wird, daß in Deutschland keine Ananas, Zitronen oder Granatäpfel im Freyen wachsen, so kann es dem Westerwald auch nicht zur Schande gereichen, wenn die rauhe Witterungsbeschaffenheit ihm Weintrauben und andere Erzeugnisse versagt. Den Unterschied zwischen Ländern und Gegenden muß aber doch der Erd- Länderbeschreiber bemerklich machen. Warum fragt nun Schmidt, ob der Pfarrer auf der Neukirche nicht übertrieben sich ausgedrückt habe, als er den Westerwald schilderte? Da er so nahe bey der Neukirche wohnte, so hätte er sich ja leicht überzeugen können, ob der Pfarrer Bernhardt sich Übertreibungen habe zu Schulden kommen lassen.

Von der schönen steinernen Lahnbrücke führt die trefflichste Dammstraße gleich bergaufwärts; man hat aber kaum eine Stunde Wegs zurückgelegt, so zeigt sich schon ein merklicher Unterschied. Regnet es im Herbste oder Frühjahr bey der Stadt, so schneyet und gefriert es hier. Mehrenberg ist der erste Ort, der auf der Straße liegt, und hier ist es schon um eine guten Theil rauher, wie zu Weilburg. Man baut zwar Korn und Getreide neben dem Hafer, und so auch allerley Arten Gemüse und Obst, allein vom feinen Geschmack der letztern geht schon etwas verloren. Merklicher wird dieser Unterschied eine Stunde Wegs, oder eine halbe Meile weiter zu Neunkirchen, wo der Obstbau auch nicht mehr so häufig ist. Wie sich nun auch schon der Weg manchmahl verflachet oder auch hier und da gegen ein kleines Thal abwärts zieht, so geht es im Ganzen doch immer bergan, bey Waldmühlen vorbey nach Rennerod, und von da nach Emmerichenhayn, 2 1/2 Meilen von Weilburg. Obstzucht und Gartenbau haben nun schon so abgenommen, daß nur selten ein Obstbaum in einer von den Häusern gegen die Winde geschützten Ecke gesehen wird, und in den wenigen kleinen Gärtchen findet man nichts, als etwa ein paar Suppenkräuter und andere Kleinigkeiten. Selbst die Allee von italienischen Pappeln, womit die Straße bey Rennerod besetzt ist, hat ein verkümmertes Ansehen, die Bäume prangen nicht mit ihrem sonstigen schlanken und hohen Wuchse, sondern theilen sich in geringer Höhe in ordentliche Baumäste.

Etwa eine halbe Meile von Emmerichenhain weiter gelangt man, immer bergan steigend, auf die Neukirche, und hier, so wie in den rechts und links zunächst gelegenen Dörfern scheint doch in der That alle Sorgfalt für das Obst und die meisten Gartengewächse vergeblich zu sein. Diese Dörfer haben daher auch im Sommer für das Auge desjenigen, welcher einer lieblichen Umgebung der Dörfer mit Obstbäumen oder Gemüsefeldern gewohnt ist, ein trauriges und ödes Ansehen. Man erblickt sie von ferne auf großen Haiden; aber nackend und kahl stehen sie da, und nur selten beschattet eine Eiche oder Buche die ärmliche Wohnung des Landmanns.

Als ich diese Gegend zum ersten mahl sah, fragte ich mich, von Jugend auf an abwechselnde Pflanzennahrung gewöhnt, wovon leben denn die Leute? Kartoffeln sind Jahr aus Jahr ein die Hauptnahrung, und man muß ihnen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie dort sehr wohlschmeckend sind. Etwas Kopskohl oder Kappus und weiße Rüben geben zuweilen eine kurze Abwechslung, und das übrige ersetzen Hafermehl, Milch, Butter, Käse, Eyer und Schweinefleisch. Aber leider! habe ich auch bey meinen letzten Reisen hören müßen, daß viele Bewohner des Westerwaldes durch die unseligen Zeiten, die wir erlebt haben, so zurückgekommen sind, daß Fleisch und Butter nur sparsam auf ihren Tisch kommen darf, und sie sich mit geronnener Milch und Käse begnügen müssen. (Dieser gesunkene Wohlstand äußert sich auch in den vielen zerfallenen Hütten, welche man in manchen Dörfern sieht.) Doch verfolgen wir den Weg bis Siegen.

Von der Neukirche läuft die Straße eine Strecke auf dem Bergrücken fort, und senkt sich dann hinab in den freyen Grund nach Burbach. Wie ganz anders ist es schon wieder hier, als auf der Höhe. Obstbäume und allerley Gartengewächse kommen wieder zum Vorschein, und anderes zeigt sich auch in mehreren Gestalten. Aber dieses Thal ist nicht breit; denn verfolgt man den Weg nach Siegen, so geht es gleich wieder bergaufwärts durch eine Theil der kalten Eiche, eines bedeutenden Waldgebirgs, das seinen Namen nicht mit Unrecht hat. Willnsdorf, wohin man zunächst gelangt, liegt in einer Vertiefung, aber um nach Siegen zu kommen, muß man noch einen waldigen Bergrücken übersteigen, bis endlich das schöne Siegthal und die Stadt Siegen dem Wanderer in die Augen fällt.

Aus dieser kurzen Beschreibung sieht man, daß selbst der hohe Westerwald wieder in den hohen und höchsten abgetheilt werden könnte, und daß zu dem letztern, den man mit Recht »informem terris, asperam coelo, tristem cultu adspectuque« nennen kann, nur wenige Dörfer gehören.

Das man auf dem hohen Westerwalde, wenn man die kalte Eiche und das Gebirge zwischen den Füstenthümern Dillenburg und Siegen nicht mit dazu rechnet, keine großen Waldungen suchen dürfe, daß im Gegentheil dort ein großer Holzmangel herscht, haben Becher und Wendelstadt bemerkt, und diesen Mangel vormahliger übler Wirtschaft und Sorglosigkeit zugeschrieben; daher sind die westerwälder unterirdischen Holzkohlenwerke eine wahre Wohlthat der Gegend. Denn er Westerwälder, so sehr er auch an üble Witterung und Kälte gewöhnt ist, sitzt er doch zu Hause gern warm. Deswegen heizt er seine Stube bis zu einem Grad von Wärme, der Anderen unerträglich wird, und um auch seine Wohnung besser gegen Wind und Regen zu schützen, stellt er die Hauptseite des Hauses, wo möglich, gegen Morgen und Mittag, und läßt das Strohdach der hinteren, gegen Abend und Mitternacht gekehrten Seite fast bis zur Erde herab gehen. Unter dieses verlängerte Dach kommen dann die Schweinsställe und dergleichen. Ob nun die jetzt von Holz entblößten Höhen und Haiden je wieder so mit Hochwaldungen prangen werden, wie es ehehin gewesen seyn soll, daran läßt sich doch zweifeln, denn ein großer Theil dieser Blößen befindet sich in Privathänden, welche solche als Außenfeld, wovon ich hernach reden werde, benutzen, und die also ihr Eigenthum zu Waldanlagen nicht hergeben werden. Indessen ist der uebrige Theil noch so bedeutend, daß allem Holzmangel abgeholfen seyn würde, wenn diese Blößen noch mit Wald bestanden wären. Dazu wird aber noch eine lange Reihe von Jahren erforderlich seyn, indem die rauhe Witterung, die langen Winter und die häufigen Nebel, welche sich in Reiffröste verwandeln, der Holzzucht mächtige Hindernisse entgegen setzen, wenn solche auch noch so emsig und eifrig betrieben wird.

Viehzucht ist die Hauptnahrungsquelle des Westerwaldes. Die großen Herden von Rindvieh fordern aber bey der allgemeinen Sitte, solches, so lange der Boden unbedeckt ist und die Witterung es gestattet, auf die Weide zu treiben, um so größere Strecken von Ländereyen, als die Triesch und Haiden nur weniges Gras und andere Futterkräuter geben. Schafe habe ich nie häufig gesehen. Wiesen scheinen nicht genug im Verhältnis zu dem starken Viehstande vorhanden zu sayn, und an den Anbau von Klee und anderen Futterkräutern hat man auf dem hohen Westerwalde bis jetzt kaum gedacht. Daher fällt es dem Landmanne schwer, seine Viehherden zu überwintern, und man darf sich nicht wundern, wenn man es im Frühjahr ganz abgezehrt und kraftlos auf die Weide gehen sieht. Ja, man hat mich versichern wollen, daß zuweilen, wenn der Winter länger, als gewöhnlich, anhält, hier und da das Strohdach der Nebengebäude angegriffen werden mußte, um das Vieh vom Hungertode zu retten. Die Rasse des Rindviehs ist im allgemeinen klein, doch sollen die Kühe nach Verhältnis milchreich seyn. Die Westerwälder Butter ist daher bekannt, und besonders die von Nisterberg beliebt. Dieses rührt von einer Eigenheit her, welche dieses Dorf hat, und die vielleicht anderwärts nachgeahmt werden könnte. In dem Dorfe ist nämlich ein großer Springbrunnen und um diesen herum sind so viele Zisternen angebracht, daß jede Haushaltung eine davon besitzt. Hierin und im Wasser verwahren und verschließen sie ihre Milch in Töpfen, bis sie die erforderliche Menge beysammen haben, welche sie nun auf einmal gerinnen lassen, wodurch natürlicher Weise die Butter einen reineren Geschmack erhalten muß.

Die Hauptfruchtgattung für den ganzen Westerwald ist der Hafer, für den höheren die einzige. Korn oder Roggen wird da wenig angebaut, Gerste und Weizen habe ich nie gesehen. Nur in den Thälern und in den Gegenden, welche man nicht mehr zum höchsten oder höheren Westerwalde rechnen kann, wird Korn gebauet, besonders in den Heubergen,, und da zieht man auch Heidekorn (polgonum fagopyrum = Buchweizen). Auch kommt da etwas Gerste, zuweilen mit Weizen vor. Eine Mischung von Hafer mit Korn oder anderen Früchten, die man Molterfrucht nennt, gibt deswegen ziemlich allgemein den Stoff zum Brode her, wozu auch eine ungeheure Menge Kartoffeln verwendet werden. In zwischen scheint mir der Ackerbau selbst in den minder rauhen Gegenden noch nicht auf der Stufe der Vollkommenheiten zu stehen, die er erreichen könnte, und daran möchten wol die übermäßigen Dorfsgemarkungen und die Misbräuche mit den Viehweiden, vornehmlich Schuld seyn. Gewöhnlich werden nur die Ländereyen um die Dörfer oder Höfe nach einer gewissen Regel gebauet und gedüngt, und diese heißt man Innenfelder. Was entfernter liegt, wird Außenfelder genannt und bekommt nie Dünger, sondern wird nur alle 10, 12 oder 15 Jahre umgerissen, durch den darauf verbrannten Rasen zu einiger Fruchtbarkeit gezwungen, und so ein oder zwey Jahre zu Getreide benutzt. Wäre es möglich, allegemeine Stallfütterung einzuführen, wie vieles Außenfeld könnte nicht in das schönste Innenfeld verwandelt werden, und dann würde der Westerwälder nicht mehr genötigt seyn, einen großen Theil seiner Brodfrüchte auf den Märkten zu Wetzlar und Diez zu kaufen. Aber wo soll das erste bedeutende Anlagscapital herkommen, wenn auch schon verjährtes Voeurtheyl die Sache an sich nicht schwierig machte? Erfreulich war es mir daher, zu hören, daß hier und da einige Landwirthe schon angefangen haben, einige Kühe in dem Stalle zu füttern, und den großen Nutzen davon zu spüren. Und so habe ich in der Gegend von Salzburg und Rod und in der Nähe von Friedewald schon einige Kleeäcker mit Bergnugen wahrgenommen, die den Beweis liefern, daß auch hier manches besser werden kann. Hoffentlich werden diese Beyspiele wirken und die Veranlassung geben, daß die Zeit auch den Ackerbau auf dem Westerwalde eine schönere Zukunft herbeyführt.

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