Anfang 1800 war in der Rheingegend, unter dem Einfluss der französischen Revolution, das sogenannte "vorurteilslose bzw. stille Begräbnis" Mode geworden, bei dem die Begleitung und Einsegnung der Leiche durch den Geistlichen verpönt war. Diese Sitte war allmählich auch bis auf den hohen Westerwald vorgedrungen und ab 1818 fand diese Änderung die Billigung z.B. in den Gemeinden Stein-Neukirch und Bretthausen. Die Willinger gaben sich mit der Neuregelung nicht zufrieden, und in Löhnfeld wollte man sich überhaupt nicht damit abfinden.
Eine solche "laute Beerdigung" schildert die Kirchenchronik in allen Einzelheiten:
"Vorher wurde bei Begräbnißen vor der Wohnung des Verstorbenen ohngefähr eine Viertelstunde lang gesungen, oder eigentlicher - aus voller Kehle geschrieen. Während dieses Gesangs brachte man die Leiche aus dem Hause und das Branntweinglas ging unter den Sängern, deren manche sich bereits mit der Leichenbegleitung schon in dem Leichenhause sich völlig betrunken hatten, ohne Stillstand herum. Die Träger hoben die Leiche auf, ein anderes Lied wurde angestimmt und eine Strecke aus dem Dorfe hinaus fortgesungen. War die Leiche hier angelangt, so wurde sie auf der Straße vor dem Pfarrhaus auf die Bahre gestellt, der Gesang hob wieder an, hörte aber auf, wenn die Leiche an das Grab kam. Sobald dann die erste Schaufel Erde auf den Sarg geworfen wurde, fingen die Sänger aus allen Kräften an zu singen: Nun bringen wir den Leib zur Ruh usw. Dieser Gesang dauerte dann fort, bis das Grab zugescharrt war und man scharrte recht langsam, um den lieblichen Gesang desto länger ertönen zu lassen. Hierauf ging man in die Kirche. Es wurde gesungen, dann gepredigt, dann wieder gesungen. Hierauf begab sich die Leichenbegleitung, nachdem sie in dem hiesigen Wirtshause noch einige Maas Brandwein zu sich genommen hatte, zurück in das Leichenhaus, wo sie eine tüchtige Mahlzeit bereitet fand. Alle Unkosten wurden aus der Hinterlassenschaft des Verstorbenen bestritten und so sahen oft Waisen, die man für wohlhabender gehalten hatte, als sie wirklich waren, bei dem Begräbniße ihres Vaters oder ihrer Mutter ihre letzte Habe darauf gehen. Die Hinterlaßenen fühlten sich aber nach einem solchen lauten Leichenbegängniße guten Muths und beruhigt. Wären ihre Dahingeschiedenen auch von ihnen vernachlässigt, mißhandelt, in das Grab gekränkt worden, so hatten sie das alles wieder gut gemacht - hatten ihnen ja die letzte Ehre gezeigt."
Die Pfarrer hatten der Änderung zum stillen Begräbnis um so eher Vorschub geleistet, als sie dadurch bei dem dortigen rauhen Klima und den oft sehr weiten Wegen von einer Berufspflicht entbunden wurden, die an die Gesundheit und physische Leistungsfähigkeit des Einzelnen manchmal ganz ausserordentliche Anforderungen stellte.
Christian Daniel Vogel war seit dem 1. Juli 1815 als zweiter Pfarrer im Kirchspiel Bad Marienberg tätig. Er geriet mit dem dortigen ersten Pfarrer Bernhard in Zwistigkeiten und versuchte, ebenfalls wohl wegen der miserablen Pfarrwohnung die ihm nicht sonderlich behagte, zurück in seine Heimat in der Nähe von Dillenburg zugelangen. Es ist nun bemerkenswert, dass Vogel, dem nach dem Tode des ersten Pfarrers Bernhard zu Marienberg am 31 August 1818 auf seinen Antrag die alleinige Versehung der ausgedehnten Pfarrgeschäfte übertragen wurde (wodurch sich seine Wohnungsverhältnisse sehr wesentlich verbesserten und sein Einkommen von 890 auf 1190 Gulden stieg), dass grade dieser Mann, der darauf bedacht war, seine freie Zeit so zu sagen bis auf die letzte Minute auszunutzen, Front machte gegen diese neue Mode.
Dekan Chelius in Emmerichenhain schreibt unter dem 21. Juni 1819 an ihn folgendes:
„Lieber Herr Pfarrer,
Ich habe soeben meinen Bericht, die öffentliche Beerdigung betreffend vollendet. Sie sind jetzt noch der einzige, der Leichen zum Grabe begleitet, und auf Sie berufen sich die Einwohner der übrigen Kirchspiele, mir selbst sind Sie oft vorgeworfen worden. Sollten Sie es nicht auch durch Ihr Ansehen und Ihren Einfluss auf das Kirchspiel Marienberg dahin bringen können, dass künftig die Todten in der Stille beerdigt würden?
Vorschreiben will und kann ich Ihnen nicht, denn ich weiss nicht, wie die dortigen Einwohner gesinnt sind, und ob es Ihnen möglich seyn würde die Sache durchzusetzen, und bey mir ist es Grundsatz nichts anzufangen, was man nicht auch ausführen kann. Allein nehmen Sie einmal die gegenwärtige Witterung! Sie ruiniren Ihre Gesundheit und machen Ihre Kinder zu frühen Waisen, wenn Sie jetzt oft die Woche 2 bis 4 mal hinausgehen, sich erhitzen und wieder verkälten, wenn Sie so im Frost und Schnee ohne Schutz auf freiem Felde eine halbe Stunde am Grab stehen wollen! Jetzt wäre gerade die Zeit des Abschaffens der Leichenrede am Grab, da Ihnen die Mitteilung zu Hülfe kommt; gerade so machte ich es vor 2 Jahren und jeder vernünftige stimmte mir bey.
Ich habe in meinem Bericht gesagt, wie Sie sich bisher ganz an § 9 der hohen Verordnung vom 28ten Mai 1816 gehalten, allein auch zugleich bemerkt, dass ich mich wunderte, wie Sie das bey Ihren 12 Kirchlicifen, die zum Theil so entfernt, aushalten könnten, wozu ein alter oder schwacher Mann im Winter unmöglich im Stande seyn würde. So lange noch der Prediger mit den Leichen geht, leiden die Schulen sehr, weil auch der Lehrer dabey seyn muss, und die schädlichen Leichengelage sind nicht ganz zu verbannen, werden sich vielmehr unvermerkt wieder einschleichen. Wollten Sie es nicht machen wie ich, nehmlich die Lebenden ihre Todten begraben lassen und dann allemal den folgenden Sontag den oder die Todten der Woche in Ihren Predigten anführen, wozu es am Schluss oder im Eingang, oft mitten in der Predigt, Gelegenheit gibt.
Damit habe ich meine Leute beruhigt, und es kommen jetzt manche zur Kirche, ihre Todten anzeigen zu hören, die sonst nicht kamen und nehmen vielleicht den Entschluss mit, künftig wieder zu kommen. Das erbauliche, was man am Grab vor wenigen sagt, kann man in der Kirche vor vielen sagen, und der Leidende hört es ruhiger an als am Grabe, wo er nur seinen Schmerz hört und fühlt.
Noch einmal, ich will Ihnen nicht vorschreiben, da ich Ihre Gemeinde nicht kenne, und sage Ihnen nur meine freundschaftliche Meinung. Ich darf Ihnen nicht sagen, dass ich mit Achtung und Freundschaft stets seyn werde
Ihr ergebener Chelius"
Wenn Vogel nun auch geneigt war, den Vorstellungen seines nächsten Vorgesetzten Rechnung zu tragen, so wurde auf Veranlassung des Generalsuperintendenten Giesse dies passive Verhalten der Geistlichen bei Beerdigungen doch alsbald wieder abgeschafft. Das Kirchspiel Marienberg war eines der grössten des Westerwaldes. Es bestand außer dem Hauptort aus 16 verschiedenen Ortschaften mit 2700 Seelen. Schon zu oranien-nassauischer Zeit im Jahre 1789 war hier deshalb eine zweite Pfarrstelle eingerichtet worden. Damals war vom Oberkonsistorium zu Dillenburg die Arbeit unter beiden Pfarrern so verteilt, dass sie abwechselnd an Sonn- und Pesttagen in der Kirchspielskirche zu predigen und der erste Pfarrer die Seelsorge in dem unteren Teil, dem sogenannten Grund, der zweite dagegen im oberen Teil des Kirchspiels zu versehen hatte.
Seit 1813, wo die Kirchspielskirche ein Raub der Flammen geworden war, wurde im Sommer der Gottesdienst unter freiem Himmel abgehalten, im Winter aber in drei engen Kapellen auf den Dörfern, was natürlich die Arbeit für die Geistlichen noch vermehrte.
Ouellen:
Christian Daniel Vogel. Ein Beitrag zur Geschichite seines Lebens und Wirkens von G. Zedier, Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, Band 38, S.304