In der Mitte des 18.Jahrhundert, meint E. Heyn, sei im Westerwald der Bau neuer Wohnhäuser auf dem Lande untersagt worden, denn das Bauholz wäre rar gewesen. Wenn es ein solches Verbot gab, dann spricht das dafür, Fachwerk war gebaut und dafür zuviel Holz verbraucht worden. Zu Beginn des 19.Jahrhundert habe man das Verbot wieder aufheben können, weil die Wälder sich erholt hatten. Jedoch hätten Kriegsplünderungen den Westerwald so geschädigt, daß prächtige Häuser nicht zum Bau kommen konnten, es ganz im Gegenteil sogar für die Westerwälder schwierig war, ihre bestehenden Häuser zu erhalten. Erst in den 1830er Jahren sei Besserung eingetreten, aber es sei immer noch so gewesen, daß nur schlichte Häuser entstehen konnten:

"Sie sind ganz einfach, ohne jeden Schmuck gebaut und bis in die letzte Zeit hinein fast ausschließlich mit Stroh gedeckt."1) E.Heyn schrieb das am Ende des 19.Jahrhunderts. Er wollte mit seinem Buch über den Westerwald Vorurteile beseitigen, die durch die Schrift von H.W.Riehl aufgekommen waren, der den Westerwald als "Das Land der armen Leute" bezeichnet hatte. Riehl war hingegangen und hatte den Westerwald in düsteren Bildern geschildert. Er wollte in den Tälern der Randgebiete des Westerwaldes erfahren haben, "daß die Leute dort den Westerwald für ein kleines Sibirien halten". Der Westerwald sei "mit seinem Schnee und Nebel und seinen Kartoffeln für die meisten eine Gegend, in der man eigentlich ein menschenwürdiges Dasein nicht mehr führen kann". Riehl hatte das am Ende der Biedermeierzeit geschrieben, als sie ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte. Aber dieses Bild vom Westerwald wirkte noch lange nach. Da es üblich gewesen war, mißliebige Beamte in den Westerwald abzuschieben, konnte es auch noch zu Heyns Zeiten im Westerwald vorkommen, daß Personen, die vom Staat in diese Gegend versetzt worden waren, gefragt wurden, was sie denn ausgefressen hätten, sodaß sie nun im Westerwald zu leben hätten.2)

Die Biedermeierzeit muß also im Westerwald eine Zeit großer Not gewesen sein. Erst im Verlaufe der 1830er Jahre könnte hier und da eine verbesserte Situation eingetreten sein, aber alles verlief sicherlich in einfachsten Bahnen, und Heyn meint, H.W.Riehl werde diese schlechten Verhältnisse wohl wirklich noch in den 1850er Jahren angetroffen haben können. Doch nun müsse endlich mit diesem elenden Bild ein Ende gemacht werden.3)

Die Frage stellt sich nun, was Heyn über die Zeit des Westerwaldes herausgefunden hat, die wir als Biedermeierzeit bezeichnen. Gibt es Passagen in seinem Buch, das sehr historisch angelegt erscheint, die uns diesen Zeitraum der Kulturentwicklung näher bringen? Es muß aber auch gefragt werden, was Heyn als Westerwald bezeichnet. Zur Definition des Gebietes vom Westerwald zieht er eine alte Textpassage heran, nennt jedoch die Quelle nicht, nur daß sie gut 300 Jahre alt sei:
"Der Westerwald ist ein hohes Gebirge zwischen Rhein, Lahn und Sieg, worauf man nichts als Himmel, Pfützen und große Steine sieht."4)
Man könnte meinen, er behandelt das Gebiet des gesamten Westerwaldes. Aber dem ist nicht so, denn es geht ihm um den Oberwesterwald:

"ich habe ... geglaubt, eine Geschichte der einzelnen Theile geben zu müssen, aus denen allmählich der Oberwesterwald gewachsen ist."5)

Der dritte Teil seines Buches setzt sich aus einer genaueren Behandlung dieses Oberwesterwaldkreises zusammen. Er gibt Statistiken, beschreibt die hydrologischen und geologischen Verhältnisse und geht auf
die einzelnen Orte ein und was in ihnen interessant ist. Seltsamerweise ordnet er sie nach Kirchspielen, die vor 1819 bestanden. Ähnlich verfährt er vorher. Seine Kulturgeschichte des Westerwaldes, der er breiten Raum gibt, reicht nicht in die Biedermeierzeit hinein. So ergibt sich die seltsame Situation, daß er die Äußerungen des Heinrich Wilhelm Riehl über den
Westerwald mit großem Aufwand in seiner Einleitung kritisiert und sich ausbreitet, der Westerwald müsse so nicht gesehen werden, sondern es verhielte sich ganz anders. Aber er trägt wenig dazu bei, die wirklichen Verhältnisse der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts aufzudecken. Man muß sich die wenigen Angaben aus dem zweiten Teil des Buches mühselig
zusammensuchen. Zu erwarten gewesen wäre ein eigenes spezielles Kapitel, das mit den Vorurteilen des Herrn Riehl abrechnet und genau darlegt, wie es um den Westerwald damals stand und daß es sich erheblich anders verhielt. Auch in der Beschreibung des Oberwesterwaldes finden sich nur sehr dürftige Angaben über das, was nach 1803 oder 1816 geschah. Angaben dazu hätte er reichlich machen können. Denn in der Zeit des Herzogtums Nassau in seiner letzten abgerundeten Gestalt fanden viele Veränderungen statt.

Seine statistischen und anderen Angaben gibt er für den Oberwesterwaldkreis. Den beschreibt er:

"Der heutige Oberwesterwaldkreis besteht in seinem jetzigen Umfang seit dem 1.April 1886. In Folge der Einführung der Kreisordnung für die Provinz Hessen-Nassau vom 7.Juli 1885 wurden aus dem alten, seit 1867 bestehenden Oberwesterwaldkreis, die beiden Amtsbezirke Marienberg und Hachenburg zu einem neuen Oberwesterwaldkreis ausgeschieden, zu welchem aus dem Unterwesterwaldkreis noch das Kirchspiel Dreifelden hinzugefügt wurde."6)

Man hat also bei seinem Westerwald eigentlich dieses Gebiet vor sich. Es scheint überhaupt der Mangel all dieser Bücher über den Westerwald zu sein, ihn nicht als ganzen geographischen Raum zu behandeln, sondern immer wieder nur Teile davon abzuhandeln. Er hätte sein Buch besser "Der Oberwesterwaldkreis und seine Bewohner von den ältesten Zeiten bis heute" genannt, stattdessen nahm er das Wort "Westerwald", was wieder nur verunklärt.
Aber nehmen wir statistische Angaben, um Entwicklung zu verdeutlichen:
Im Oberwesterwald, den er beschreibt, gab es nur eine Stadt: Hachenburg. Außerdem gab es 84 Landgemeinden. Da zwei Ämter, das von Hachenburg und das von Marienberg, zusammengelegt worden waren, muß er seine Statistik nach den beiden Ämtern gegliedert aufrollen und dann eine Zusammenfassung nennen. Deshalb führt er auf, was die Volkszählung von 1890 ergeben hatte, und gliedert die Zahl der Wohnhäuser wie folgt:


Amt Marienberg:

Im Jahre 1825 waren es 1182 Wohnhäuser
Im Jahre 1830 waren es 1297 Wohnhäuser
Im Jahre 1840 waren es 1380 Wohnhäuser
Im Jahre 1850 waren es 1457 Wohnhäuser
Im Jahre 1860 waren es 1574 Wohnhäuser
Im Jahre 1870 waren es 1590 Wohnhäuser

Amt Hachenburg:

Im Jahre 1825 waren es 1673 Wohnhäuser.
Im Jahre 1830 waren es 1718 Wohnhäuser.
Im Jahre 1840 waren es 1823 Wohnhäuser.
Im Jahre 1850 waren es 1903 Wohnhäuser.
Im Jahre 1860 waren es 1981 Wohnhäuser.
Im Jahre 1870 waren es 2066 Wohnhäuser.

Oberwesterwaldkreis:

Im Jahre 1890 waren es 3890 Wohnhäuser.

Das sagt nun leider nur aus, daß die Dörfer und die kleine Stadt Hachenburg um Häuser wuchsen. Wenn man die Biedermeierzeit mit der Zeit des Bestehens des Herzogtums Nassau gleichsetzt, hätte man zu Beginn der Biedermeierzeit etwa 2855 und am Ende der Biedermeierzeit etwa 3550 Wohnhäuser zu dokumentieren gehabt. In der heutigen Zeit wären
das nur wenige Häuser, die festzuhalten wären, um ihr Aussehen durch Fotos für die Nachwelt zu bewahren. Man hat in der Biedermeierzeit sehr genaue Dorf- und Stadtszenen gezeichnet und gemalt, die ungeheuer realistisch wiedergeben, was angetroffen wurde. Vermutlich war man im Oberwesterwaldkreis zu solchen Dokumentationen nicht aufgebrochen.
Man muß das prüfen. Vielleicht besteht doch mehr, als man denkt.

E. Heyn gliedert in seinen Angaben über Wohnstätten auch nach:

- bewohnten Wohnhäusern.
- andere bewohnte Gebäude: Hütten, Buden, Wagen.
- unbewohnten Wohnhäusern.

1890 gab es demnach 4186 bewohnte Wohnhäuser und 109 unbewohnte Wohnhäuser. Hütten, Buden oder Wagen gab es insgesamt 7, die bewohnt waren.
Von 1825 bis zum Jahre 1890 wuchs die Zahl der Einwohner des Oberwesterwaldes von 17.963 auf 23.562 Einwohner.7)
Von einem raschen Wachstum kann also nicht gesprochen werden.
Um weitere Angaben zur Biedermeierzeit zu gewinnen, kann man seine "Topographie des Kreises" auswerten. Vielleicht finden sich Angaben zur Bautätigkeit. Er gliedert nach Kirchspielen:

- Kirchspiel Marienberg
- Kirchspiel Neukirch
- Kirchspiel Liebenscheid
- Kirchspiel Höhn
- Kirchspiel Rotzenhahn
- Kirchspiel Hachenburg
- Kirchspiel Altstadt
- Kirchspiel Alpenrod
- Kirchspiel Kroppach
- Kirchspiel Höchstenbach
- Kirchspiel Roßbach
- Kirchspiel Kirburg
- Kirchspiel Dreifelden

Diese Kirchspiele bestanden vor 1819, wie zuvor schon erwähnt. Zu ihnen gehörten jeweils mehrere Ortschaften. Bei Durchsicht der Angaben wurde deutlich, daß Hinweise auf die Zeit des Herzogtums Nassau oder die preußische Zeit fast nur den Kirchenbau betreffen. Durch Blitzschlag getroffene Kirchen, die abbrannten, erlebten eine Erneuerung. Manchmal sind Neubauten von Kirchen aufgezeichnet. Bergbau wird gelegentlich genannt. Deutlich erkennbar interessierte sich E.Heyn für die Zeit vor dem Herzogtum Nassau und gibt dazu auch sehr viele Geschichtskenntnisse preis. Für die Zeit danach läßt sich wenig dem Buch entnehmen. So bricht die Kritik an H.W.Riehl in sich zusammen. Wir erfahren so gut wie nichts darüber, wie es zu Riehls Zeiten wirklich war.

 

Anmerkungen:

1) zitiert aus: E.Heyn: Der Westerwald und seine Bewohner von den ältesten Zeiten bis heute. Reprint der Ausgabe von 1893. Schaan (Liechtenstein), 1981. S.216
2) siehe: E.Heyn, wie vor, S.4
3) siehe: E.Heyn, wie vor, S.5
4) zitiert aus: E.Heyn, wie vor, S.3
5) zitiert aus: E.Heyn, wie vor, S.9
6) zitiert aus: E.Heyn, wie vor, S.257
7) siehe bei: E.Heyn, wie vor, S.257ff.

 

Quellen:

Karl-Ludwig Diehl in der Newsgroup: de.sci.architektur vom 6 Jan 2008

 

 

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