Summitville Colo. September 11th 1899


Lieber Vater und Geschwister!

Es ist schon lange her seit ich Euch das letzte Mal schrieb und es ist schon lange her, seit ich den letzten Brief von Euch erhielt. Ich weiß deshalb nicht, ob Ihr noch alle am leben und gesund seid oder nicht, hoffentlich seid Ihr noch alle gesund. Ich habe Onkel noch nicht gesehen, seit er von Deutschland zurück ist und weiß nicht, wann ich ihn zu sehen bekomme. Ich habe von meinen Brüdern schon seit 2 Jahren nichts mehr gehört, wohl haben sie mich ganz vergessen. Den letzten Brief, welchen ich an Karl schrieb, worin ich ihn um ein Bild von ihm und seiner Frau bat, hat er mir gar nicht geantwortet. Ich weiß nicht warum, ob er meinen Brief nicht erhalten hat, oder ob er denkt, daß ich keine Antwort wert bin. Wahrscheinlich das letztere. Er hat auch beinahe recht, doch weiß ich nicht, ob er nicht den selben Weg gegangen wäre wie ich, wenn er so ganz alleine wie ich hier in Amerika wäre. Wenn es mir nicht gut geht, dann kann ich nicht schreiben, weil ich mich nicht danach fühle, und ich Euch kein Geld schicken kann. Das tut mir leid, und dann schiebe ich es auf von einem Tag zum andern und hoffe immer auf bessere Zeiten. Wohl habt ihr dieses so oft gehört und Ihr werdet mir kaum glauben. Ich kann's Euch nicht verdenken. Was machen alle meine Schwestern und Br. Ich möchte gerne noch einmal Euch alle sehen. Meine kleinen Schwestern Dora und Emma können sich wohl meiner kaum erinnern. Wie gerne ich einen Brief von allen hätte, könnt Ihr Euch kaum denken, und auch ein Bild von jedem. Ich wünschte, daß Ihr Euch alle noch einmal abnehmen laßt und mir ein Bild schickt. Ich wünschte, daß Ihr Euch alle einmal einzeln abnehmen laßt und mir ein Bild von jedem schickt. Auch hatte ich Euch einmal gefragt, ob Ihr kein Bild von Mutter habt oder ob eins von Mutter im Dorfe ist. Wenn eins da ist, es macht nichts aus, ob es auch nicht so sehr gut ist, ich täte es gerne haben, da ich es hier vergrößern lassen könnte und so viele neue machen lassen, wie ich wollte. Ich täte Euch gerne neue dafür schicken. Auch hätte ich gerne ein Bild von Mutters Grab. Ich denke öfters an Euch und an Mutter und sehe das Dorf und die Wälder und Mutters Grab und die alte Kirche, überhaupt alles dort so wie es noch war als ich noch dort war, doch damals wußte ich noch nichts vom Leben und von Sorgen und Gedanken. Ich war noch zu jung. Dies alles macht mir Heimweh, wenn ich daran denke, doch muß ich es wohl ertragen, weil ich nicht gerne Soldat sein will.

Es geht mir jetzt ziemlich gut seit 1. August. Ich hörte letzten März Ende auf für Georg zu arbeiten in der Schmiede und ginge nach einem anderen Dorfe und habe in einer Grube gearbeitet für einen Monat und einen halben. Ich hatte dort ein wenig Geld gemacht, doch wie die Grube zugemacht hat, da war ich außer Arbeit für 2 Monate und da ging mein Geld wieder fort für Kost und Kleider. Ich habe bloß einen guten Anzug. Ich verdiene jetzt wieder ein wenig Geld. Ich habe jetzt eine Dampfmaschine zu führen auf einer Grube für Luft zu pressen. Ich muß 12 Stunden den Tag arbeiten, doch ist es keine harte Arbeit. Ich brauche bloß das Feuer unter dem Dampfkessel aufzuhalten und die Maschine zu ölen und den Dampf andrehen und sehen, daß die Maschine in order bleibt. Ich und noch ein Mann arbeiten hier. Ich bin jetzt an Tag-Schicht und werde nächsten Sonntag an Nacht-Schicht gehen. Wir wechseln alle 2 Wochen. Die gepreßte Luft wird in der Grube gebraucht für Löcher zu bohren mit einer Maschine, welche mit Luft getrieben wird. Ihr würdet wohl gerne einmal alle die Maschinen sehen. Ich wünschte, daß Ihr sie alle sehen könntet. Ich glaube, wenn Ihr alle hier wäret, würde ich nicht an Deutschland denken und ich würde viel lieber zur Arbeit gehen. Wo ich jetzt arbeite, ist 12.000 Fuß hoch über dem Meeresspiegel und die Luft ist ziemlich dünn hier oben. Ich brauche bloß 400-500 Fuß den Berg hinauf zu gehen, da wachsen keine Bäume mehr und die Tannen sind bloß 3-4 Fuß so hoch, daß man darüber sehen kann und weiter rauf wachsen sie gar nicht mehr, bloß ein wenig Unkraut wächst dort.

Ich denke, ich habe Euch genug von diesem Zeug geschrieben, da Ihr Euch doch keinen Begriff davon machen könnt. Ich habe schon seit letztem Frühjahr von Kansas gehört und kann deshalb nicht sagen, wie es meinen Landsleuten dort geht. Ich habe Euch geschrieben für so viele Bilder, Ihr werdet denken, woher das Geld nehmen, er hätte mir etwas Geld schicken sollen. Das ist ganz recht, doch will ich nicht haben, daß Ihr Eure Bilder nehmen sollt, laßt es, bis ich Euch Geld schicke. Wenn ich diese Arbeit behalte, so werde ich Euch ein Weihnachtsgeschenk schicken können. Ihr könnt Euch dann abnehmen lassen.
Ihr schriebt mir im letzten Brief, daß es Euch nicht gefallen hat, daß ich mein eigenes Fuhrwerk habe. Nur um Euch zu zeigen, daß ich kein so ganz großer Taugenichts bin, wie Ihr denkt, so will ich im Falle, daß ich diese Arbeit nicht behalte, es verkaufen und Euch das Geld schicken. Vielleicht werdet ihr ein wenig besser von mir denken, wenn Ihr diesen Brief gelesen habt. Ich hoffe, daß Ihr mir gleich antwortet, und ich werde nicht mehr so lange warten, wie ich bisher getan habe und Euch gleich Antwort schreiben, vielleicht fühle ich mich dann wieder besser.

Tut Robert Euch alsmal Geld schicken oder ist er verheiratet oder was macht er? Bitte schickt mit seine Adresse, auch schickt mir Karls Adresse.
Ihr schreibt mir im letzten Brief, daß Karls kleines Töchterchen gestorben ist was mir sehr leid tut. Bitte sagt Karl und Robert, daß sie mir auch einmal schreiben. Ich hatte einmal einen Brief von Bertha erhalten, welchen ich Ihr beantwortete, doch habe ich weiter nichts von Ihr gehört Ich weiß, ob sie den Brief erhalten hat oder nicht Ich werde allen ein Weihnachtsgeschenk schicken, wenn sie mir nur mal schreiben. Dies ist kein dummes Versprechen, da ich jetzt Geld verdiene und es mir möglich ist, ihnen was zu schicken. Wo ich jetzt arbeite, muß ich einen Dollar den Tag für Kost bezahlen und muß mir mein eigenes Bett stellen, doch kann ich das wohl tun, da ich doch ein wenig Geld zurücklegen kann.

Ich will nun schließen in der Hoffnung auf baldige Antwort und mit vielen Grüßen an Euch alle verbleibe ich

Euer August

Lieber Vater, sei so gut und gebe diesen Brief an alle meine Geschwister und schreibt bald. Ich werde die Wochen zählen für eine Antwort. Entschuldigt meine Fehler, da ich mehr Englisch schreibe und spreche wie Deutsch. Ich spreche so gut Englisch, daß die meisten Leute nicht glauben, daß ich in Deutschland geboren bin.

August

 

Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914

 

 

Keine Kommentare

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.