Summitville, Januar 18th 1900


Liebe Schwester Emilie und alle!

Deinen lieben Brief habe ich erhalten und will gleich antworten. Es freut mich, daß Ihr das Geld erhalten habt. Hoffentlich habt Ihr das neue Jahr gesund und munter angefangen. Ich war zu Neujahr in Monte Vista. Ich habe Weihnachten gearbeitet und hätte auch Neujahr gearbeitet, aber wir waren heruntergebrochen mit der Dampfmaschine, und da mußte ich warten, bis es repariert war. Ich ging den 30. Dezember nach Monte Vista und blieb da bis den 10. Januar und habe den 11. Januar wieder angefangen. Es geht jetzt wieder alles im alten Geleise.
Ich habe auch einen Brief von Karl erhalten und eine Neujahrskarte. Du meinst, daß ich dächte, daß meine Schwester nichts taugt. Wenn ich das von Euch dächte, so würde ich nicht so viel Heimweh haben.
Ich denke vielmehr von Euch wie ich selbst denke. Du brauchst Dir weiter keine Gedanken darüber zu machen. Ich werde Dich nicht mehr mit Vorwürfen belästigen.
Du meinst, daß Du bald eine Verlobungskarte von mir erhalten tätest, doch das ist nicht so. Ich habe das ganz aufgegeben. Ich hätte wohl beinahe einmal solche Dummheiten gemacht, doch bin ich froh, daß nichts daraus geworden ist. Ich könnte wohl genug schöne und gute Mädchen haben, doch ich will keine.

Ein Mann, der kein Leben für sich selbst machen kann, der soll sich keine Frau anschaffen. So ist es mit mir. Wann will Wilhelm Leicher heiraten? Habt Ihr noch immer Lust hierher zu kommen oder nicht, nachdem Ihr Onkel gesehen habt und denkt Ihr, es würde Euch hier gefallen, im Falle Ihr kommt? Was denkt Onkel davon?

Ich weiß wohl, daß Ihr Euch keinen Begriff von der Dampfmaschine machen könnt. Ihr würdet Euch wundern, wenn Ihr mich dabei sehen tätet und denke, daß ich doch ein wenig gelernt habe, seit ich hier bin. Wenn ich nicht irre, heißt man es auf Deutsch Maschinist, was ich geworden bin oder Maschinenführer. Es ist eine Stationsmaschine, welche auf einem Platze bleibt. Einer von meinen Mitarbeitern wird bald mein Bild nehmen bei der Maschine. Dann schicke ich Euch eins. Ich verdiene jetzt 3,5 Dollar den Tag und muß einen Dollar für Kost bezahlen, läßt mir 2,5 Dollar den Tag oder 75 den Monat. Doch da alles so teuer hier ist, glaube ich nicht, daß man hier mehr dafür kaufen kann wie in Deutschland für 75 Mark, doch ist das ein ziemlich guter Lohn.

Wenn Ihr nächsten Sommer einmal herkommen wollt, dann könnt Ihr auf die Jagd gehen und auch Fische fangen. Ich habe letzten Sommer einen Tag in 2,5 Stunden 45 Forellen gefangen mit der Angel und den nächsten Tag 42 in 3,5 Stunden, alle über 1 fuß lang. Es sind hier sehr viele Hasen und wilde Enten. Ich hatte einmal 3 Jahre zurück 16 Enten mit 2 Schüssen geschoßen. Ich hatte 20 in ungefähr 3 Stunden. Die meisten Leute werden das nicht glauben, doch es ist wahr, hier gehen manchmal 20-30 Mann auf Hasen schießen und schießen von 200 bis 600 in einem Tag. Ich esse mehr Fleisch in einer Woche, wie Ihr dort in einem Jahr. Wir haben 2 oder 3 Sorten Fleisch auf dem Tisch dreimal den Tag und man ißt so vIel man kann. Ich habe auch letzten Sommer Bärenfleisch gegessen und Hirschfleisch. Ich arbeite jeden Tag, sonntags und werktags. Ich war für die letzten 2 Wochen an Nachtschicht und werde morgen an Tagschicht gehen, da wir alle 2 Wochen wechseln. Es ist nach 9 Uhr morgens, und ich muß jetzt ins Bett gehen oder ich werde heute nacht schläfrig. Ich habe viele gute Freunde in diesem Lande, doch denke ich zuviel an Euch, das ist alles was mir fehlt.

Ich will nun schließen, in der Hoffnung, bald Antwort von Euch allen zu erhalten, verbleibe ich
Euer Euch liebender Sohn und Bruder

August



Viele Grüße an Hölzemanns und meine anderen Freunde und Verwandte und Schulkollegen. Ich hätte gerne Bilder von vielen meinen Freunden dort und würde Ihnen gerne meins dafür geben. Doch werden sie das schwerlich tun. Wie geht es Weyands in Kansas und wie gefällt es Wilhelm Weyand dort?

Wenn ihr wieder schreibt, schreibt Mr. August Miller. Mrs. meint Frau und Mr. meint Herr.

Seid so gut und antwortet alle meine Fragen.

Mit Gruß

August

 

Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914

 

 

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