Ernst Rudolf Voigts wird am 29 April 1913 als Sohn des Otto Voigts und seiner Ehefrau Bertha geb. Steup in Windhoek, Region Khomas, Deutsch-Südwestafrika geboren.
Sein Vater Otto Voigts dient nach Ausbruch des 1. Weltkriegs als Leutnant d. R. in der Kaiserlichen Schutztruppe von Deutsch-Südwestafrika und fällt am 4 Februar 1915 im Alter von 33 Jahren während Kampfhandlungen der deutschen Schutztruppe mit Einheiten der Südafrikanischen Union. Nach Ottos Tod zieht seine Witwe Bertha später mit ihren Kindern zurück nach Braunschweig.
Ernst Rudolf arbeitet nach Ende des 2. Weltkriegs als Studiendirektor im Hochschuldienst des Geographischen Instituts der „Technischen Universität Carolo-Wilhelmina" in Braunschweig.
Bei Ausbruch des 2. Weltkriegs dient Ernst Rudolf als Oberleutnant und Adjutant des Kommandeurs der I. Abteilung des Panzer Regiments 6. Das Regiment wurde 1935 in Neuruppin, Kreis Ostprignitz-Ruppin, Brandenburg aufgestellt. Sein Cousin Wolfgang Steup dient Anfang 1942 als Ordonnanz-Offizier im Stab der II. Abteilung des gleichen Regiments.
Nachfolgend seine Kommandierungen im Verlauf des 2. Weltkriegs1):
von (am)
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bis
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Einheit
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Dienststellung/Funktion
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01.04.1936
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Beförderung zum Leutnant
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01.01.1939
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Beförderung zum Oberleutnant
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03.01.1939
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Stab I./Panzer-Regiment 6
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00.06.1940
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Panzertruppenschule
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00.02.1941
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Stab/Panzergruppe 4
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Ordonnanz-Offizier
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01.02.1942
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Beförderung zum Hauptmann
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00.04.1942
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Panzer-Regiment 6
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04.04.1943
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Kompanieführerschule Versailles
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Lehrgangsleiter Panzer
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07.02.1944
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27.02.1944
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Führer-Reserve OKH
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27.02.1944
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15.05.1944
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Stab/8. Armee
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Panzeroffizier beim Stab
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00.03.1944
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Kfz-Erfassungsstab/AOK 8
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15.05.1944
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Stab II./Panzer-Regiment 6
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Kommandeur
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30.01.1945 | Beförderung zum Major | ||
15.03.1945
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Führer-Reserve
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15.03.1945
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Stab/Stv. XVII. Armeekorps
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Vorausbildung 20. Adjutanten-Lehrgang
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Auszeichnungen:
- Deutsches Kreuz in Gold (am 9.3.1945)
- Eisernes Kreuz 1. Klasse
- Eisernes Kreuz 2. Klasse
- Panzerkampfabzeichen
Über den Ausbruch des 2. Weltkriegs am 1. September 1939 hat er folgendes hinterlassen2):
Am 31. August meldet der Rundfunk, daß innerhalb der gesetzten Frist keine polnischen Bevollmächtigten in Berlin eingetroffen sind. Prompt trifft der Einsatzbefehl ein: “Angriff am 1. September 1939, 4.45 Uhr.”
Mein Panzer II … gehört zur ersten Angriffswelle der dritten Panzerdivision unter dem Befehl des Generals Geyr von Schweppenburg im Rahmen des XIX. Armeekorps unter meinem kommendierenden General der Panzertruppen Heinz Guderian. Der operative Auftrag lautet, von Pommern aus nach Osten über die Brahe nach Ostpreußen vorzustoßen und die im Korridor aufmarschierten polnischen Truppen auszuschalten.
Ich bin 26 Jahre alt, Oberleutnant und Adjutant des Kommandeurs der I. Abteilung des Panzerregiment 6 (Major von Boltenstern).
In der Sommernacht zum 1. September haben wir nicht geschlafen, sondern sind mit unseren Panzern in die nahen Bereitstellungsräume an der Grenze gefahren und haben mit bangen Gefühlen das Morgengrauen erwartet. Die vage Hoffnung auf eine erneute Verschiebung des Angriffstermins oder gar auf eine endgültige Absage des Angriffs schmilzt mit dem Aufkommen der Morgendämmerung dahin.
Es herrscht absolute Stille. Unsere Funkgeräte, die alle Panzer miteinander verbindet, sind abgeschaltet, jedes laute Geräusch, jedes helle Licht ist untersagt.
Es ist mir nicht möglich, in Worte zu fassen, was sich in uns abspielt, seit es Gewißheit ist, daß wir unmittelbar vor dem Kriegsausbruch stehen. Wir sind übernächtigt, stehen in Gedanken verloren allein oder in kleinen Gruppen herum und versuchen vergeblich, mit unserem aufgeregten Inneren ins Reine zu kommen. Wirre Gedanken kreuzen durch den Kopf, so also erlebt man die historischen Minuten …
Wir haben die Waffen mit scharfer Munition geladen, werde ich auf Menschen schießen können? Ist es Angst, die mein Herz schneller schlagen läßt? … In der Innentasche der Uniformjacke steckt ein Verbandspäckchen. Soll ich mir nicht ein zweites in die Gesäßtasche stecken – für alle Fälle? … Der Kommandeur sieht ja erschreckend blaß aus? Ich scheue mich, ihn anzusprechen …
Endlich! 4:45 Uhr! Auf Winkzeichen steigen wir in die Panzer, das Zeichen zum Anwerfen des Motors wird gegeben, die Befehlspanzer der Einheitsführer setzen sich in Bewegung, die anderen folgen. Die Würfel sind gefallen, der Feldzug gegen Polen hat begonnen!
… niemand zweifelt daran, daß dieser Feldzug bald siegreich beendet sein wird. Aber die Sorge läßt sich nicht leugnen, die wir vor einer Ausweitung des Krieges hegen.
Wir geben bald die Gefechtsformation auf, denn unser “leichter Zug” mit Oberleutnant Buchterkirch zwei, drei Kilometer voraus meldet: “Kein Feind in Sicht”. Wir benutzen jetzt die merklich schlechteren Straßen und durchfahren kleine strohbedeckte Ortschaften, ohne einen Menschen zu sehen. Dann kommt nach einiger Zeit der Befehl: “Halt! Weitere Befehle abwarten!”
Wir steigen aus unseren Panzern und vertreten uns die Beine. Ich stehe an einer Straßenkreuzung und sehe mit Erstaunen einen zivilen PKW auf der Nebenstraße auf uns zukommen. Wir erkennen eine polnische Uniform hinter dem Steuer und eine Frau auf dem Beifahrersitz. Unmittelbar vor uns bleibt der Wagen abrupt stehen. Wir sind überrascht und wissen zunächst nicht, was zu tun ist. Da öffnet sich die Wagentür, und ein polnischer Offizier steigt überrascht aus. Uns fällt sofort die tadellose olivgrüne Uniform auf und die imponierende Art, wie er seine Überraschung verkraftet und in akzentfreiem Deutsch sagt:
“Sie sind ja deutsche Truppen! Ich dachte, das wären unsere. Ich bin Major der Reserve, ich bin alarmiert und befinde mich auf dem Weg zur Truppe – der Krieg ist ausgebrochen!”
Ich sage: “Ja, leider, aber für Sie ist der Krieg bereits zu Ende. Ich muß Sie gefangennehmen! Geben Sie mir Ihre Pistole!”
“Hier haben Sie meine Pistole! Jetzt bin ich Ihr Gefangener, aber in Kürze werden Sie unsere Gefangenen sein!”
“Wie kommen Sie denn auf diese Idee?”
“Sie werden sehen, in drei Tagen ist Ostpreußen in polnischer Hand, in drei Wochen sind wir in Berlin!”
“Das werden wir erst noch sehen. Und wer ist die Dame in Ihrem Wagen?”
“Das ist meine Frau!”
“Und die nehmen Sie mit in den Krieg?”
“Ja, die wird in Kürze auf dem Ku-Damm einkaufen!”
In dem Augenblick heulen die Motoren auf, der Angriff geht weiter. Ich kann dem Major nur noch sagen, er solle seine Frau auf dem kürzesten Weg nach Hause schicken. Einem Stabsfeldwebel befehle ich noch, den Major mit dem Beiwagenkrad zum Regimentsstab zu bringen.
Dieses Erlebnis dauert weniger als fünf Minuten – aber es sollte sich tief in mein Gedächtnis einprägen und mir zu einem Schlüssel für die Lösung vieler mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zusammenhängender Rätsel dienen.
Die unerwartete Art der ersten “Feindberührung”, der undramatische, ja friedlich-höfliche Verlauf der Gefangennahme und die wenigen Worte, die der mir imponierende Pole in so tadellosem Deutsch sagt, Worte, die mich auf das äußerste verblüffen – all das geht mir nie mehr aus dem Kopf.
Je mehr ich über die Begebenheit nachdenke, um so mehr Fragen stellen sich mir in den nächsten Tagen, und um so mehr bedauere ich es, den Major so schnell zum Regimentsstab geschickt zu haben, statt ihn wenigstens einige Minuten lang weiter auszufragen.
Wie kann er zu der mir ganz absurd erscheinenden Ansicht kommen, daß Ostpreußen in drei Tagen und Berlin in drei Wochen in polnischer Hand sein werden? Denken die meisten polnischen Militärs so wie er – vielleicht auch das ganze Volk? Nach seinem sicheren Auftreten zu urteilen, scheint das der Fall zu sein. Offenbar hat unser Angriff die Polen auch nicht überrascht – im Gegenteil: Ist aus den Worten des Polen nicht herauszuhören, daß sie nur darauf gewartet haben, loszuschlagen und Deutschland auf Anhieb zu Boden zu werfen?
Und was haben die Polen sich vorgestellt, was soll nach ihrem Sieg geschehen? Welche Kriegsziele streben sie an? Sind diese (wie bei uns?) geheim, oder hat jeder Soldat in seinem Herzen etwas, was ihn begeistert, für das es sich lohnt, sein Leben einzusetzen im kühnen Angriff auf Großdeutschland?
Was kann den offenbar nicht dummen polnischen Major so sicher gemacht haben, daß Ostpreußen in drei Tagen und Berlin in drei Wochen in polnischer Hand sein werden? Ich kann nicht leugnen, daß mir dieser Satz im ersten Augenblick einen Schreck eingejagt hat.
Sollten die Polen etwa geheime Waffen besitzen, die uns furchbaren Schaden zufügen können? Oder hat unsere Spionage versagt – laufen wir heute oder morgen in unser Verderben oder in polnische Gefangenschaft, wie uns der Major angekündigt hat?
“In drei Tagen, … drei Wochen”, das kann er doch nur sagen, wenn die Polen bereits in den Startlöchern stehen und wir sie nicht mehr überraschen, geschweige denn “überfallen” können!
Oder hat er etwa gemeint, daß die Westalliierten den Polen sofort zu Hilfe kommen mit den Kriegserklärungen und mit einer Großoffensive auf das Ruhrgebiet? …
Ist das nun die Verwirklichung der Vorhersage, die ich vor einem Jahr aus England mitgebracht habe: “Great Britain? All right! ,Great‘ Germany? Never! Hitler will get his war and he’ll loose it!” …
Oberleutnant Voigts berichtet dann von der erstaunlichen Ahnungslosigkeit der polnischen Soldaten:
Bei dem Versuch der Polen, aus der Tucheler Heide nach Süden durchzubrechen, greifen sie den linken Flügel unserer Division an, und zwar mit einer Kavallerie-Brigade. Die Panzerschützen trauen ihren Augen nicht, als sie beobachten, wie sich die Reiter-Schwadronen zu einer Attacke bereitstellen und dann mit gezogenen Säbeln und gesenkten Lanzen angaloppieren.
Es kostet sie größte Überwindung, den Befehl zum Eröffnen des MG-Feuers auszuführen, und sie stoppen sehr schnell wieder, als das Chaos sichtbar wird, das sie verursacht haben. Doch haben sie den Mut bewundert, mit dem die Reiter sich wieder sammeln und eine zweite Attacke wagen. Auch diese scheitert kläglich. Das Gefecht endet damit, daß die Panzerschützen alles tun, um möglichst viele Gefangene zu machen.
Einzelne polnische Offiziere sprechen deutsch und bitten, sich die Panzer ansehen zu dürfen. Das wird ihnen gestattet. Sie pochen mit ihren Knöcheln an die Panzerplatten und sind entsetzt: “Die Panzer sind ja doch aus Stahl und nicht, wie man uns gesagt hat, aus Pappe! Welch ein Wahnsinn!”