Vom Wolfssegner zum Werwolf - Hexereiprozesse im Nassauer Land
Am 7. Juli 1629 setzte sich der Driedorfer Pastor Melchior Thorejus an seinen Küchentisch und begann einen mitleidheischenden Brief an seinen Nassauischen Landesherren Graf Ludwig Henrich zu schreiben, der nur wenige Meilen entfernt auf seinem Stadtschloß in Dillenburg residierte. Wortreich beklagte sich der Pastor darüber, daß der Metzger des Grafen ein paar Tage zuvor seine beiden Ziegen willkürlich abgegriffen und der gräflichen Küche zugeführt hatte.[1] Ohne daß er sich dessen vermutlich bewußt war, wird der Geistliche damit zum Auslöser einer Kaskade von Hexereiprozessen, die im Bereich der Nassauer Grafschaften in diesen Jahren freilich nicht gerade zu den Seltenheiten gehörten.[2]
Ein Satz ist es, der den Stein ins Rollen bringt und ohne diesen Satz wäre dieser Brief vielleicht nicht mehr gewesen als ein Dokument feudaler Willkür oder ein eindrückliches Zeugnis für die beklagenswerten Lebensumstände eines kalvinistischen Landpastors, der - wie er schreibt - winters wie sommers nur von Brunnenwasser und einer dünnen Suppe lebt, der nicht das kleinste Fäßlein Bier sein Eigen nennt und der für sich und die Seinen in den letzten sechs Jahren nicht ein einziges Pfund Fleisch habe erkaufen können, was jeder Metzger in der Region bestätigen könne. Schlimmer noch, die Leute - so schreibt er weiter - machten sich gar lustig über ihn, wenn sie ihm rieten, es mit den beiden entführten Ziegen doch so zu halten, als hette sie Joachims Jost erbissen.
Dieser keine Halbsatz ist es, der - wenn auch langsam - in das allgemeine Betriebsgeräusch des nassauischen Beamtenapparates einsickert und bei aller Zähigkeit der Verwaltungsmaschinerie, kaum ein paar Monate später eine ganze Reihe von Todesopfern produziert.