In Zinhain im Westerwald gab es eine relativ große Gruppe Jehovas Zeugen, von denen mindestens 18 Personen NS-Opfer wurden, unter ihnen Heinrich und Selma Klimaschewski (KZ), Gertrud Ott (KZ), Heinrich Leis (gewaltsamer Tod in Hadamar), Louis Pfeifer (verstarb im KZ Mauthausen), Anna Remmy (verstarb im KZ Ravensbrück), Jakob Remmy (KZ), Emma Schmidt (KZ), Heinrich Schmidt (KZ), Hilda Schütz geb. Kempf (verstarb in Auschwitz) und Heinrich Schütz (KZ). Im Dezember 1936 verhaftete die Gestapo zehn von ihnen und nahm sie in Untersuchungshaft in Limburg an der Lahn.
Mehrfach spielten sich die Aburteilungen der Zeugen Jehovas in Gruppenprozessen ab, in Frankfurt gab es im Frühjahr 1937 drei große „Bibelforscherprozesse“. Im April 1937 begann der erste Gruppenprozeß gegen etwa 60 Zeugen Jehovas. Das Sondergericht Frankfurt fällte am 14. April 1937 gegen 36 Zeugen Jehovas (aus den Kreisen Biedenkopf und Oberwesterwald) in der Mehrzahl mehrmonatige Gefängnisstrafen und 12 Freisprüche.
Einige Tage später, am 19. April 1937, nahm das Sondergericht eine weitere Verhandlung auf, die von der Presse als „zweiter größerer Bibelforscherprozeß“ bezeichnet wurde, diesmal gegen 16 Zeugen Jehovas (aus Fellinghausen, Burgsolms und Haiger) „wegen staatsfeindlicher Betätigung“. Heinrich Klimaschewski (geb. 1901) aus Zinhain erinnert sich an seine Verhaftung, den Prozeß vor dem Sondergericht und die Folgezeit im Konzentrationslager wie folgt:
„1936 beteiligte ich mich unterirdisch am Verteilen der Resolution, die in der Schweiz im September verfasst wurde und hatte diese Resolution auch an alle Staatsanwälte und Richter in Deutschland per Post verschickt. Am 13. Dezember wurde ich von der Gestapo Frankfurt verhaftet und Tag und Nacht verhört und vernommen. Auch über meine militärische Stellungnahme wurde ich verhört. Ich lehnte den Militärdienst mit der Begründung, daß ich nicht töten darf und Gott mehr gehorchen muß, ab. Auch grüßte ich nicht mit dem Hitlergruß.
1937, im April, fand die Gerichtsverhandlung vor dem Sondergericht in Frankfurt/Main statt. Wir waren insgesamt 40 Brüder und Schwestern, die unter der Anklage standen, Kommunisten zu sein. 10 Tage dauerte der Prozeß. Die Offizialverteidiger sagten nicht viel, erwähnten aber, daß wir keine Kommunisten seien. Ich bat meinen Verteidiger, Dr. Klingelhöfer, vorsichtig zu sein, da es für ihn [ein] heißes Eisen wäre. Wir konnten uns am letzten Tag alle noch einmal zu Wort melden. Ich verteidigte mich mit den Schlußworten: ‚Ich bitte das hohe Gericht nicht um mildernde Umstände. Ich bitte aber das hohe Gericht um ein gerechtes Urteil!‘ Und das brachte mir ein Jahr Gefängnis ein, während alle anderen mit 3 bis 4 Monaten, die durch die Untersuchungshaft beendet waren, davon [kamen].
Nach Verbüßung meiner Gefängnisstrafe kam ich erneut in Schutzhaft, und im Februar 1938 wurde ich dem K.L. Buchenwald überführt. Ich wurde der Strafkompanie zugeteilt, und alle Arbeiten mußten im Laufschritt durchgeführt werden. 1939 wurde ich mit 15 Stockhieben bestraft und anschließend 10 Tage Dunkelarrest, weil ich während des Appells auf dem Appellplatz zu einem Bruder, der neben mir stand, sagte, Hitler hat nicht einen Dämon, sondern 10 Dämonen. Ein B.Ver [Berufsverbrecher], der es hörte, meldete mich, und das brachte mir die erwähnte Strafe ein.
Am letzten Tag verlor ich die Sprache, durch die Dunkelheit und die feuchte Luft im Bunker. Meine Gebete zu Jehova Gott waren, er möchte mir die Kraft zum Ausharren geben, denn ich möchte ihm noch viel dienen. Nach meiner Entlassung aus dem Dunkelarrest kam meine Sprache langsam wieder. Im Block freuten sich meine Brüder und sprachen mir trostreich zu und waren mir in jeder Hinsicht behilflich, und ich freute mich ebenfalls, daß ich wieder unter ihnen sein durfte. Auch wurde ich im selben Jahr, eine halbe Stunde, mit auf dem Rücken gefesselten Händen an einen Baum, 50 cm vom Erdboden, aufgehängt, weil ich während der Arbeitszeit ein kleines Stückchen Brot gegessen hatte und wieder ein B.Ver es gesehen hatte und mich meldete.“
Am 18 März 1941 wurde Heinrich Klimaschewski in das KZ Sachsenhausen (Häftlings-Nr: 25349) eingeliefert.
Nach 1945 erfolgte durch die Überlebenden Gertrud Ott und Heinrich Klimaschewski (durch ihn Neubeginn der Versammlung in Bad Marienberg) die Missionierung unter der Bevölkerung von Limburg und Diez sowie die Gründung der dortigen Ortsversammlung.
Die Gestapo übte in der „Bibelforscherfrage“ auf den Oberstaatsanwalt beim Sondergericht Frankfurt Druck aus und wies ihn zum Beispiel am 15. Juni 1937 bezüglich der angeklagten Zeugin Jehovas Hilda Schütz (geb. Kempf; 1897) aus Zinhain an: „Sollte wider erwarten eine Bestrafung der Schütz nicht erfolgen, so bitte ich um entsprechende Mitteilung, damit dieselbe von mir in Schutzhaft genommen werden kann.“ Das Sondergericht verurteilte die Frau tatsächlich fünf Wochen später, am 21. Juli 1937, zu 1 Monat Gefängnis, die sie in Frankfurt-Preungesheim verbüßte. Nach der Haftentlassung wurde sie der Polizei „überstellt“, die sie im September 1937 in ein Konzentrationslager einwies. Nachdem Hilda Schütz die Lager Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück durchlaufen hatte, fand sie im Dezember 1942 in Auschwitz den Tod.
Quelle: Johannes Wrobel, Die Nationalsozialistische Verfolgung der Zeugen Jehovas in Frankfurt am Main, in: Kirchliche Zeitgeschichte (KZG), 16. Jahrgang, Heft 2 (2003)