Denver Jan. 2nd 1909
Lieber Vater und Schwestern!
Euern lieben Brief erhalten und will Euch heute gleich antworten.
Zuerst muß ich Euch noch nachträglich Glück zum neuen Jahr wünschen und hoffe, daß es besser geht im neuen Jahr, als wie es im alten Jahr gegangen ist. Ich hatte Euern Geburtstag leider vergessen und zudem hätte ich nicht da sein können, im Falle ich es nicht vergessen hätte und übrigens denke ich überhaupt, es ist besser diesen Weg, denn sollte ich jemals nach Deutschland kommen, könnte ich es kaum helfen, mit einigen von meinen Geschwistern auf unfreundlichen Fuß zu geraten, denn ich müßte welchen davon die Leviten lesen und meine Meinung sagen, und wenn ich das täte, dann wäre alles vorbei, und somit lasse ich alles gehen, wie es geht und schreibe auch nicht, dann brauche ich mich auch nicht zu ärgern.
Ich weiß nicht, ob ich Berthas Brief erhalten habe, doch muß ich ihn bekommen haben, denn die lassen wenigstens die Briefe einschreiben, und ich halte viel von meinem Schwager in Marienberg und würde auch gerne seine Bekanntschaft machen. Es freut mich, daß Ihr die Vollmacht erhalten habt. Das Ding kostet mich 5 oder 10 Dollar, weiß es noch nicht genau.
Ich täte Euch raten, alles zu verkaufen, um Eure letzten Jahre in Ruhe zu verleben, wenigstens verkauft, was mein Anteil ist, das heißt, wenn ich einen Anteil habe, und gebraucht es, denn ich will durchaus nichts von Deutschland haben.
Es tut mir leid, daß meine Geschwister mich als Taufpaten eintragen lassen, denn ich habe durchaus kein Verlangen danach.
Ich habe Karls Brief vor einem Jahr erhalten und fing im Februar an, seinen Brief zu beantworten, habe ihn aber wieder verbrannt.
Von Emilie habe einen Brief erhalten, seitdem ich ihr das Geschenk schickte vor 2 Jahren, braucht überhaupt nicht mehr zu schreiben.
Von Dora habe ich 2 Briefe erhalten, werde später, wenn ich mich mehr danach fühle, antworten.
Bei meinen Verwandten hier geht es ganz gut, auch Auguste in Monte Vista geht es gut.
Ich war im Oktober auf der Jagd und habe einen Hirsch geschossen.
Ich bin seit 1. Dezember bei List in Denver, weiß noch nicht, wie lange ich hier bleibe. Vielleicht fange ich irgend etwas an in Denver. Ich will schließen und bitte um Verzeihung, im Falle ich Euch in irgend einer Weise beleidigt habe, denn ich tue so etwas nicht absichtlich, aber es geht nicht anders.
Viele Grüße Euer
August
Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914