1874-1950 August Müller, 17. Brief in die Heimat
Monte Vista Colo, den 2. Mai 1894
Lieber Vater und Geschwister!
Euern Brief nebst Bildern letzte Woche erhalten. Auch Euern Brief vor meinem Geburtstag mit Gratulation von Robert erhalten, worauf ich noch Antwort schrieb, welche wahrscheinlich verloren gegangen ist. Meine Bilder nebst Brief werdet Ihr auch erhalten haben. Was Ihr für Gesichter habt gemacht, kann ich mir denken, aber ich bin noch immer so dürr wie vorher, ich denke, ich bin noch ein bißchen dürrer jetzt, als wie ich von Deutschland weg ging, wiege aber doch 150 pfund und bin ungefähr 5 Fuß 10 Zoll groß. Ich habe die Bilder verteilt, wie Ihr mir im Brief schriebt, eins an Dora, eins an Hanna und eins an Auguste. Ich wollte als mal Dora keins geben, habe ihr nun doch eins gegeben. Wir haben die Frucht schon lange gesät und sie ist schon lange auf und nächste Woche werden wir Kartoffeln pflanzen, ungefähr 10 Acker. Ich war vor 3 Wochen hier auf einem Tanz und vor 14 Tagen auf einem. Wir haben getanzt von abends 9 bis morgens halb 3 Uhr. Es ist dies das erste Mal, daß ich hier getanzt habe.
Lieber Vater!
Ich hatte diesen Brief ungefähr 14 Tage zurück angefangen und will ihn nun fertig schreiben. Ich erhielt letzte Woche einen Brief von Karl, worin er mir meldete, daß die Bilder angekommen sind. Da dachte ich, daß Ihr mir bald wieder schreibt, aber es ist bis jetzt noch kein Brief da. Die Frucht ist ziemlich schön an manchen Plätzen, aber der Wind hat das Meiste schon einmal abgeblasen. Wir sind jetzt zum zweiten am bewässern. Es ist gewöhnlich sehr heiß und die Mücken beißen einen furchtbar. Regen haben wir noch keinen gehabt, und wenn wir keinen bekommen, so trocknet die Frucht wieder aus.
Was sagt Großmutter zu den Bildern und was macht sie. Besten Gruß an sie und Onkeln.
Ich will nun schließen mit den besten Grüßen an Euch alle.
Euer August
Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914