Summitville November 10th 1899
Meine liebe Schwester Bertha!
Deinen lieben Brief habe ich gestern erhalten mit dem Bilde. Es freut mich noch einmal was von Dir zu hören. Das Bild ist sehr schön. Du bist ein schönes Mädchen, das muß ich Dir wohl sagen. Ich zeigte Dein Bild den Leuten, wo ich bei wohne. Ich sagte ihnen, es wäre mein Mädchen und was sie davon dächten, sie sagten alle, daß es ein sehr schönes Mädchen wäre. Ich fragte sie, ob sie es schon gesehen hätten, und welche davon sagten, sie hätten, bis ich ihnen sagte, es wäre meine Schwester. Es freut mich, daß ich so eine schöne Schwester habe.
Ich habe noch keinen Brief von Vater und meinen anderen Geschwistern und auch keine Bilder und weiß deshalb nicht, wie schön sie sind, doch ich denke, es sind alle sehr schöne Mädchen. Es tut mir leid, daß meine Brüder so wenig Respekt vor Dir haben und Dich beleidigen und verachten, weil Du ein Dienstmädchen bist und wenn sie hier wären, würde ich Ihnen das Fell verhauen. Sie haben wohl ganz vergessen, wo sie her kommen und wie hart mein Vater und meine Mutter für sie gearbeitet haben. Ich denke, sie wollen Vater wohl auch nicht mehr kennen, seit sie ein wenig in die Höhe gekommen sind durch seine Arbeit. Doch das ist der Weg wie es geht, eh welch' erbärmliches Deutschland, doch die meisten Leute dort wissen nicht besser. Das ist's was mich von dort weg hält, so viel wie das Soldatenleben und ich würde niemals an Deutschland denken, wäre es nicht für Euch, meinen geliebten Vater und Geschwister. Und ich glaube, daß wenn Ihr alle hier wäret, wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Hier werden die Frauen hoch gehalten und verehrt, und eine ist so gut wie die andere, und wenn jemand seine Frau beleidigt, der kriegt eine Tracht Prügel, und das ist der richtige Weg, doch in Deutschland werden die Frauen runtergehalten. Wenn Du hier wärest und jemand täte Dich beleidigen, oder irgend eine von meinen Schwestern, so würde ich ihm das Fell verhauen, doch tut das kein anständiger Mensch, die haben zuviel Respekt vor Frauen. Ich denke, meine Brüder verachten mich auch. Ich habe keinen Brief von ihnen erhalten für Jahre.
Obschon ich den letzten Brief an sie schrieb. Den letzten Brief von Karl erhielt ich letztes Frühjahr ein Jahr zurück, und von Robert habe ich schon keinen Briel erhalten für 4-5 Jahre. Ich schickte ihm einmal 20 Mark wie er bei den Soldaten war, damals war ich gut genug, doch jetzt bin ich's nicht. Die denken wohl beide, daß ich dumm genug bin, um Heu zu fressen, doch sollten sie mal herkommen, ich könnte sie vielleicht noch was lernen, was sie nicht wüßten. Ich war keiner von den Dümmsten, wie ich von Deutschland ging und wie ich hierher kam, da wußte ich doch nichts, weil hier alles anders geht wie in Deutschland, andere Wege und alles anders. Ich weiß jetzt 20 mal so viel, wie ich damals wußte.
Du schreibst, daß Du zu mir kommen willst, wenn ich nicht heimkommen will. Ich würde Dich gerne hier sehen, doch würde es hart für Dich sein. Du müßtest Englisch lernen und ich könnte auch nicht immer zuhause sein. Ich müßte Dich bei fremde Leute tun, daß Du Englisch lerntest, doch die Leute hier sind viel besser wie in Deutschland und ich habe viele gute Freunde, welche Dich gerne lernten. Der Mann, wo ich bei wohne, sagte, daß Du bei seiner Frau bleiben könntest, 60 Meilen von hier. Seine Frau wohnt im Tale, da ist es wärmer im Winter als hier und im Sommer wohnt sie hier oben. Doch seine Frau und er können nicht Deutsch sprechen, da würdest Du schnell lernen, Englisch sprechen. Auch könntest Du vielleicht Vergnügen haben, Du könntest zum Tanze gehen und könntest fahren mit meinem Fuhrwerk und könntest reiten. Ich habe ein schönes zahmes kleines Pferd, daß würde ich Dir geben zum Fahren und Reiten. Ich bin jetzt in den Bergen so hoch oben, daß die Bäume beinahe nicht mehr wachsen, 12.000 Fuß hoch über dem Meeresspiegel. Wenn Du
hier wärest, könnte ich Dich für 3 Monate nicht sehen, weil Du im Tale wohnen müßtest bis nächsten Sommer. Du müßtest hier viel lernen und würdest die erste Zeit nichts verdienen, bis nächsten Sommer, dann könntest Du vielleicht 2-3 Dollar die Woche verdienen. Doch daß täte nichts ausmachen, da ich genug verdiene für Dich und mich und noch mehr. Wie Du weißt, arbeite ich seit 1. August mit einer Dampfmaschine. Es ist keine harte Arbeit. Ich muß 12 Stunden arbeiten, ich brauche bloß den Dampf anzudrehen, daß die Maschine läuft und dann das Feuer aufzuhalten, daß der Dampf im Dampfkessel hoch genug ist. Die Dampfmaschine ist für Luft zu pressen in die Grube. Ich verdiene 3,50 Dollar = 14 Mark den Tag, doch muß ich 4 Mark oder 1 Dollar für Kost bezahlen. Das läßt mir 2,50 Dollar oder 10 Mark den Tag freies Geld, oder 75 Dollar den Monat. Es ist dies mehr wie ich jemals verdient habe, seit ich hier bin. Das meiste, was ich sonst verdient habe, war ein Dollar oder 4 Mark den Tag, und für 2 Winter hatte ich keine Arbeit, dann kostet es viel Geld, wenn man kein Geld einnimmt und muß Geld ausgeben. Ich werde Vater 50 Dollar schicken für ein Weihnachtsgeschenk und werde einem jeden von Euch 5 Dollar schicken. Dann könnt Ihr Euch was Schönes kaufen. Ich werde, so bald ich einen Brief von meinen Brüdern erhalten, ihnen sagen, daß sie sich schämen sollten und wenn es den Herren Müller nicht gefällt, so können sie es sagen, das ist alles. Ich bin gerade so gut wie sie und Du bist auch so gut. Die meisten Leute
hier heißen mich auch Herr Miller und bloß gute Freunde heißen mich August oder in Englisch Gust. Hier heißt man die Leute nicht bei ihrem Vornamen mit Ausnahme, es sind gute Bekannte. Man sagt immer Herr - Mister, Frau - Mistress oder Fräulein - Miss oder Master für Jungen. Einer oder eine ist so gut wie die anderen, solange man sich gut beträgt.
Ich habe Dir soviel diesmal geschrieben, daß Du am Ende gleich hierher kommen willst, doch will ich Dich nicht von zuhause locken, weil es Dir am Ende doch hier nicht gefällt und ich will lieber allein unglücklich sein. als Dich auch unglücklich zu machen. Doch im Falle Du lieber hierher kommen willst, frage erst Vater um seinen guten Rat und tue, was er Dir sagt. Er kann Dir viel besseren Rat geben wie ich. Ich werde mir alles Geld sparen, das ich kann, und Du einmal Lust hast zu kommen, so kannst Du kommen, und wenn es Dir dann nicht gefällt, so habe ich Geld genug für Dich, wieder nach Hause zu gehen, weil ich lieber sterben wollte, wie eine von meinen Schwestern unglücklich zu sehen. Sollte es Dir aber gefallen, und wir beide zufrieden sein, so würden wir für unsere anderen Geschwister und Vater arbeiten und ihnen helfen, hierher zu kommen, im Falle sie kommen wollten. Im Falle es Dir nicht gefällt, und ich genug Geld kriegen kann, werde ich mit Dir heim gehen.
Was tun meine Schwestern und Brüder? Ich hoffe, daß ich bald einen Brief und Bilder von ihnen erhalte. Was tut Robert und was verdient er? Ich fragte Karl für ein Bild von ihm und seiner Frau im letzten Brief, doch hat er mir bis jetzt noch nicht geantwortet. Er denkt vielleicht, daß ich nicht gut genug bin für eine Antwort. Ist Karl seine Frau reich oder nicht und schön oder häßlich? Oder hast Du sie noch nicht gesehen? Hat Robert noch kein Mädchen oder will er sich bald verheiraten? Hilft er Vater noch oder nicht? Ich denke, Karl hat genug mit sich zu tun, seit er verheiratet ist. Hast Du auch schon einen Burschen oder nicht? Ich hatte einmal ein Mädchen, doch jetzt nicht mehr. Ich habe die Mädchen schon lange aufgegeben, weil ich doch kaum glücklich sein könnte, weil ich kein Heim habe, und heute bin ich hier und morgen dort, Tausende Meilen von zuhause.
Einer von meinen Mitarbeitern will bald mein Bild nehmen bei der Dampfmaschine, wo ich arbeite. Dann werde ich Dir eins schicken, damit Du sehen kannst, was ich tue und wie ich aussehe, wenn ich arbeite. Ich bin jetzt 5 Fuß und 10 Zoll hoch und wiege ungefähr 170 Pfund. Ich wog bloß 145 Pfund, als ich mein anderes Bild nehmen ließ. Du kannst wohl sehen, daß ich damals dürr war auf dem Bild. Es geht mir jetzt ganz gut, und wenn es vielen Leuten so gut ginge wie mir, würden sie gar nicht klagen, doch meine Gedanken an Euch, ist alles was mir fehlt, und wie ich Dir sagte, daß ist alles, was mich an Deutschland denken macht Tun meine kleinen Schwestern sich meiner noch erinnern oder nicht? Sie sind wohl beide schon groß, da es beinahe 8 Jahre sind, seit ich von Deutschland weg bin. Wenn ich nicht irre. wird meine kleine Schwester im Frühjahr konfirmiert. Ich weiß nicht mehr, wie alt Ihr alle seid und möchte es gerne wissen. Ich dachte, ich täte alles auf das ander Blatt kriegen, doch es geht nicht
[im Original beginnt ein neuer Briefbogen]
Vater muß wohl weit über 60 sein und Karl über 30, Robert 28 oder 29. Ich werde 26 am 23. Februar und Du mußt wohl ungefähr 23 sein, Emilie 21, Dora 17 oder 18 und Emma 14 am 27. Februar. Das ist so genau wie ich weiß.
Hört Ihr auch alsmal was von meinen Landsleuten in Kansas und wie es ihnen geht? Ich habe schon lange nichts mehr von dort gehört und weiß nicht, wie es denen geht und was Onkel Wilhelm Weyand dort macht, ob er noch am leben ist oder nicht.
Liebe Schwester, bedenke erst alles und frage erst Vater, bevor Du Dich entschließt, hierher zu kommen, und dann schreibe mir erst, und ich werde Dir meinen guten Ral geben, vielleicht werde ich mich entschließen heim zu kommen mit der Zeit, doch so lange ich soviel verdiene wie jetzt, werde ich hier bleiben und mir alles Geld sparen, das ich kann. Wenn ich dann heimkommen will, habe ich ein wenig Geld, und wenn ich nicht kommen will, dann kannst Du zu mir kommen und wir werden dann zusammen arbeiten für Vater und meine anderen Schwestern. Vielleicht wollen die dann herkommen.
Ich denke, das ist alles was ich weiß für diesmal und will nun schließen in der Hoffnung auf baldige Antwort.
Ich verbleibe mit Gruß und Kuß
Dein Dich liebender Bruder August
PS: Schreibe mir einmal alles genau und was meine Brüder und Schwestern tun, und wie es ihnen geht, und wie es Vater geht und ob Vater noch immer Lust hat nach Amerika zu gehen, wie er hatte, wie ich noch dort war, und ob welche von meinen anderen Geschwistern Lust haben nach Amerika zu gehen. Bedenke Dich recht. Es ist hart von zuhause zu gehen auf nimmer Wiedersehen.
Dein Dich liebender Bruder August
Im Maschinenhaus geschrieben mit meinen Händen voll Öl. Es tut mir wehe, wenn ich Dein Bild ansehe und Deinen Brief lese und denke, daß ich 2 Brüder habe, welche eine Schwester verachten, wo ich stolz drauf bin, welche in die Welt rum gehen und selbst ihr Brot verdienen. Es ist keine Schande für ein Mädchen draußen zu arbeiten. Hier in diesem Lande will niemand eine Frau haben, welche zuhause bleibt und nichts tut. Was sagt Vater dazu? Sei vielmals gegrüßt. Hoffentlich werden wir uns einmal wiedersehen.
Dein treuer Bruder August
Wenn Du schreibst, schreibe nicht an Mrs., das heißt Frau. Schreibe Mr. August Miller. Die letzten 2 Wochen habe ich an Tag-Schicht gearbeitet und für die nächsten 2 Wochen muß ich wieder nachts arbeiten, von nächsten Sonntag an.
Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914